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Donnerstag, 28. Oktober 2010

Fotostrecke - Auftaktreden




Eröffnungrede von Thomas Krüger, Präsident der bpb

Das größtenteils weibliche Publikum verfolgt die Reden mit Simultanübersetzung



Moderatorin Claudia Neusüß, Technische Universität Berlin



Susan Pinker auf dem Weg zum Podium

Dieses Jahr gibt es auffällig viele junge TeilnehmerInnen




Im Anschluß an ihren kontrovers rezipierten Vortrag stellt sich Susan Pinker der Diskussion.

Interview mit den Organisatorinnen Milena Mushak & Petra Grüne

1919 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Keine hundert Jahre später sitze ich im gläsernen Besprechungsraum der dbb Forum in der schicken Friedrichstraße Petra Grüne und Milena Mushak, den beiden Organisatorinnen des 3. Internationalen Genderkongresses, für ein kurzes Interview gegenüber.

von Elisabeth R. Hager

Missy Magazine: Gerade ging die Eröffnungsveranstaltung des 3. Internationalen Genderkongresses über die Bühne. Mit welchen Erwartungen blicken Sie den nächsten zwei Tagen entgegen?

Grüne: Wir haben den Kongress ja schon mit einer sehr kontroversen Debatte begonnen und hoffen, dass auch weiterhin sehr viel diskutiert wird.

Mushak: Ich bin vor allem deshalb gespannt, weil die Zusammensetzung der Teilnehmer_innen bei diesem Kongress äußerst unterschiedlich ist. Es gibt teilweise das einschlägige Publikum, aber nicht durchgehend.

Missy Magazine: Wie sieht das einschlägige Publikum denn aus?

Grüne: Das sind klassischer Weise 68er-Frauen. Diesmal sind aber auch viele Leute von NGOs da, viele Leute von Banken. Also von der Berliner Landesbank haben sich 17 Leute kollektiv angemeldet und Leute von Handwerkskammern, von Versicherungen, eben nicht das übliche, rein akademische Publikum, das normalerweise auf solche Kongresse geht. Ich finde das wirklich klasse, kann mir das aber gerade selbst nicht wirklich erklären.

Missy Magazine: Das Programm ist extrem breit gefächert. Die angeschnittenen Themen reichen von Selbstwert und Anerkennung im Kapitalismus über Migration, Reproduktion bis hin zu Sexarbeit. Stellen Sie sich den Kongress als Bestandsaufnahme der aktuell geführten Gender-Debatten vor oder gibt es eine konkrete Leitfrage?

Mushak: Also ich hatte keine. Ich weiß nicht, ob du eine hattest?
Grüne: Das hat natürlich alles eine Vorgeschichte. Ursprünglich hatten wir 1999 den ersten, großen Genderkongress gemacht, der damals das Schlagwort Geschlechterdemokratie hatte. Das ist 1999 zum Grundgesetzjubiläum umgesetzt worden. Dann hatten wir 2002 einen, da ging‘s um Gender Mainstreaming und nun, zum Grundgesetzjubiläum wollten wir wieder einen machen. Diesmal wollten wir einen Genderkongress machen, der nicht nur die alten Recken aktiviert, sondern auch jüngere Frauen und Leute aus anderen Bereichen. Wie wollten also einen neuen Ansatz haben und haben viel diskutiert. Na und dann dachten wir uns: In der Postmoderne - anything goes. Man kann sein Geschlecht im Grunde frei wählen, man kann zwischen Geschlechtern switchen, auch wenn es schwierig ist, ist es doch prinzipiell möglich. Aber trotzdem sind die Leute nicht glücklich, und woher kommt das? Da war dann die Suche nach einem bestimmenden Faktor und dieser Faktor ist im Grunde genommen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und, dass es auch ein wirtschaftliches Interesse dabei gibt. Und das war dann die rote Linie.

Missy Magazine: Wenn man sich hier auf dem Kongress umschaut, sieht man eine überdurchschnittlich hohe Zahl biologischer Frauen. An welche Menschen adressieren Sie diesen Kongress?

Mushak: Ja, das stimmt. Das fällt mir auch auf.
Grüne: Ich finde es ein bisschen traurig, aber das ist auch ein normaler Satz auf solchen Kongressen. Früher haben wir bei der Planung des Kongresses darauf geachtet. Das haben wir diesmal nicht gemacht. Am Schnitt von 10% Männern hat das aber nichts geändert. Das Thema aber wird momentan an allen möglichen Stellen diskutiert, wo es früher nicht besprochen wurde. Ich denke da z. B. an die Wochenendbeilage der SZ vor ein paar Wochen oder den Artikel im Focus.

Missy Magazine: Für welche Panels haben sich denn die meisten Leute angemeldet?

Grüne: Das ist das Forum 1, Gender, Macht und Gläserne Decken: Ernüchterung in der "Frauenpolitik"?. Die Veranstaltung findet im großen Saal statt. Aber das unterscheidet sich nicht besonders in der Zahl. Die Veranstaltungen sind alle voll.

Fotostrecke - Kongressbeginn








Das ddb forum vor Kongressbeginn





Empfang der TeilnehmerInnen und Akkreditierung


Die Kongressbeiträge werden simultan auf Englisch und Deutsch übersetzt


Es liegen zahlreiche Gratis-Publikationen nicht nur zu Gender-Themen aus



Die Teilnehmer stellen sich aus dem umfangreichen Angebot ihr Programm zusammen.



Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, trifft letzte Vorbereitungen für seine Eröffnungsrede.

"Freedom of choice"? Auftaktveranstaltung und Keynote des Kongresses

Einen wahren Rundumschlag über aktuelle Felder und Fragestellungen der Genderpolitik lieferte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, in seiner Begrüßungsrede. Vom antiken Griechenland bis heute spannte er seinen Bogen von historischer Unterdrückung der Frauen und anderer Gruppen bis zu den heute herrschenden Missständen. Er betonte, dass die bpb die aktuellen Diskussionen anfeuern möchte, sich bereits intensiv mit den anstehenden Themen beschäftigt und politische Forderungen stellt, so auch mit diesem Kongress. Aktuelle Politik, so sein Statement, blende viele wichtige Forderungen aus. Er schloss seine Rede mit Judith Butler: für sie heiße "queer sein" nicht Identitätspolitik, sondern das Schließen aktiver Bündnisse gegen Sexismus, Rassismus, usw.

Anschließend stellte Prof. Claudia Neusüß die kanadische Psychologin Susan Pinker vor, die einen Vortrag über ihre Thesen zu erfolgreichen Männern und erfolglosen Frauen hielt, welcher an ihr 2008 erschienenes Buch "The Sexual Paradox" anknüpfte. Ihren Thesen nach gibt es mit Männern und Frauen zwei biologische Geschlechter, die zwar gleiche Rechte haben sollen, aber von Geburt an grundlegend verschieden sind. Ihre Thesen untermauerte sie mit aktuellen Forschungsergebnissen aus ihrer Hirnforschung.

Ist der Mann die richtige Norm? Dies war eine Frage von Pinker an das Publikum. Männer hätten ein höheres Suizidrisiko, seien von Geburt an schwächer und litten häufiger an Krankheiten als Frauen, so Pinker. Auch gebe es bei Männern mehr extreme Persönlichkeiten als bei Frauen: "No female Mozart, no female Jack the Ripper" zitierte Pinker Camille Paglia, um ihre Thesen zu fehlenden weiblichen extremen Persönlichkeiten zu betonen.

Entsprechend Pinkers umstrittenen Thesen gestaltete sich auch die anschließende, von Frau Neusüß moderierte Diskussion kontrovers. Eine sich auf Pinkers biologistischen Ansatz beziehende Frage war jene nach der Wahlfreiheit ("freedom of choice"). Wenn man, so wie Pinker, mit noch vor der Geburt festgelegten Eigenschaften zweier biologischer Geschlechter argumentiere, bliebe die Wahlfreiheit von Individuen auf der Strecke. Frau Pinker konterte, dass Wahlfreiheit zwar wichtig sei, dass allerdings in Ländern, in denen keine Frauenförderung betrieben werde, die Frauenquoten in klassischen Männerdomänen besonders hoch seien, da den Frauen keine Wahl gelassen werde.

Ein weiterer Kommentar betonte die Gefahr, in eine Falle zu laufen, wenn man so wie Pinker Gleichstellungspolitik durch Biologie zu betreiben versuche, wo doch in der Vergangenheit biologistische Erklärungsansätze eher dazu verwendet wurden, Menschen nach vermeintlichen Kriterien abzuwerten. Pinker betonte im Fortlauf der Diskussion, dass Politik und (biologistische) Wissenschaft nicht getrennt gehalten werden sollten - im Gegenteil.

Ob wir wirklich die Wahl haben, blieb als Frage im Raum zurück. Wir hoffen, dass wir sie im Laufe der Konferenz noch beantworten können.

(Svenja Schröder)

Eröffnungstag

Ein erster Eindruck der Konferenz: Key Lecture von Susan Pinker

Das Missy Magazine begrüßt zum Kongress „Das flexible Geschlecht. Gender, Glück und Krisenzeiten“

Wir haben ein mehrköpfiges Team aus Autorinnen und Bildproduzentinnen zusammengestellt, das den Kongress laufend mitdokumentiert. Mit Interviews, Veranstaltungsberichten, Fotostrecken und Videos begleitet dieser Blog die KongressteilnehmerInnen bei der Frage der Interdependenz zwischen Ökonomie und Genderpolitiken.

Wer will sich da noch beschweren? Wir haben eine Bundeskanzlerin, einen schwulen Außenminister, eine First Lady mit Tattoo und eine Verteidigungsministergattin, die ihren adligen Gemahl angeblich auf der Love Parade kennen gelernt hat und Dinge über machistische Aggro-Rapper sagt, die wir auch unterschreiben würden. Wir können Gender Studies studieren, unsere Berufe frei wählen, so viel Gehalt fordern, wie wir uns trauen, den Partner in die Vätermonate schicken, und unter Umständen dürfen wir sogar abtreiben. So viel Emanzipation und Freiheit waren noch nie, und trotzdem herrscht unter Frauen, feministischen Männern, MigrantInnen, Queers, Transpersonen, Behinderten und den sonstwie Marginalisierten keine Euphorie. Es drückt vielmehr eine schwere Depression von oben, die von der globalen Finanzmarktkrise nur noch verschärft wurde.

Denn die Freiheit, frei zu sein, meint in überwältigend vielen Fällen maßgeblich die Freiheit, unsicher zu sein: Arm zu sein, ununterstützt zu sein, dauernd auf der Suche und in keiner Form abgesichert zu sein. Die "Forderungen nach Eigenverantwortlichkeit und Selbstverwaltung und das Versprechen einer grenzenlosen Freisetzung der menschlichen Kreativität", die Boltanski/Chiapello als Motor der studentischen "Künstlerkritik" der 1960er Jahre identifiziert haben, sind längst, wie das AutorInnenpaar in "Der neue Geist des Kapitalismus" nachgezeichnet hat, zu (Selbst-)Optimierungsanforderungen in managerialen Idiologemen geworden. "Das unternehmerische Selbst ist ein Leitbild" schreibt Ulrich Bröcklig in seiner gleichnamigen Untersuchung ironisch, und wir alle kennen die damit einhergehenden Schlagworte zur Genüge: die von der Prekarisierung, von der Generation Praktikum, vom Kreativzwang, von der Ich-AG, von der Dauer-Flexibilisierung und vom Burn-Out. Besonders Frauen, denen stereotyp Eigenschaften wie Empathie, Multitasking-Fähigkeit, Leidensbereitschaft und Verzicht zugeschrieben werden, werden nun verstärkt als "Das flexible Geschlecht", das mit diesen neuen Anforderungen qua ihnen eingeschriebener Geschichte besonders gut klar kommt, angerufen.

Die Frage, die die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem diesem gewaltigen Themenkomplex gewidmeten Mammut-Kongress gleich im Eingangs-Statement aufwirft: "Sind emanzipierte und flexible Menschen automatisch glücklich?" möchte man daher reflexhaft mit einem trotzigen "Nein, auf keinen Fall!" beantworten. Doch es lohnt sich, noch einmal genauer hinzusehen. Und dann vielleicht differenzierter zu erkennen, wer wie wo genau von der Durchökonomisierung aller Lebensbereiche betroffen ist. Und festzustellen, dass die Intersektionalität von Geschlecht, Klasse und Ethnie an manchen Stellen ganz massive Unterdrückungspotenziale addiert.

Daher ist die Vielschichtigkeit der beeindruckenden 11 Panels, die zudem alle interessant und ausgewogen besetzt sind, besonders zu begrüßen. Während es in den ersten drei Panels vor allem um Fragen von wirtschaftlicher oder politischer Macht und Gender geht, dreht sich in den den drei weiteren Diskussionsgruppen des Freitag Vormittags alles um Medien-Images, Bildung und Migration. Auf den fünf Podien des Nachmittags steht die Biopolitik im Vordergrund, wenn Fortpflanzungstechnologien, Pornokultur, Intersex-Issues, Arbeitsaufteilung in Familienverbänden und die Ökonomisierung der Gefühle diskutiert werden. Spannend wird vor allem zu verfolgen sein, ob tatsächlich umfassend und kritisch strukturelle Ausschluss- und Benachteiligungsmechanismen benannt werden, oder ob es der Mehrzahl der Beteiligten darum gehen wird, disparate Positionen und Entwürfe möglichst effektiv in ein Diversity Management einzupassen. Es liegt an den TeilnehmerInnen, für deren Beiträge extra viel Räum gelassen wird, die Diskussionen mitzugestalten - also erscheint zahlreich und redet euch die Köpfe heiß.

Sonja Eismann

Heute nachmittag geht's los! Letzte Infos zur Anreise

Heute ab 16 Uhr öffnet das dbb forum berlin seine Pforten für die Konferenz "Das Flexible Geschlecht". Viele Gäste von außerhalb Berlins werden erwartet, deswegen gibt es an dieser Stelle nochmal ein paar Infos bezüglich der Anreise. Wir vom Missy-Team empfehlen Euch die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, denn das ist nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ungemein nervenschonend (besonders für Nicht-Berliner).

Das ddb forum befindet sich in der Friedrichstraße 169/170 in 10117 Berlin:


Auf der Seite des dbb forum gibt es außerdem eine ausführliche Seite mit Anfahrtsbeschreibungen, unter anderem auch einen sehr guten Überblick über nahegelegene Haltestellen. Ganz Lauffaule reisen bis Haltestelle "Französische Straße" mit der U6, aber beispielsweise sind auch die Haltestellen "Stadtmitte" (U2/U6) oder "Friedrichstraße" (RE/S-Bahn/U6) in Laufweite.

PS: Wer jetzt immer noch planlos umherirrt: die Seite der Berliner Verkehrsbetriebe BVG ist Eure Freundin!

(Svenja Schröder)