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Samstag, 30. Oktober 2010
Key Lecture mit Miriam Meckel
Miriam Meckel von der Universität St. Gallen hält die Key Lecture am Samstag, den 30.10.2010. Das Video zeigt kurze Ausschnitte aus ihrer Rede und aus der anschließenden Diskussion.
Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung"
von Svenja Schröder
Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung" am Abschlusstag der Konferenz wurde von vielen mit Spannung erwartet. Ihrem Vortrag zufolge gibt es drei zentrale Aspekte, die eine große Rolle bei der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: Erstens gibt es zu wenig Frauen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen innehaben. Zweitens fehlt es an weiblichen Role Models, die den Weg für jüngere Frauen weisen. Daran schließt sich Meckels dritte These an, dass es schwer ist, Frauen für aktive gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen, da viele unter einem geringen Selbstbewusstsein leiden.
Denn viele Frauen stünden sich auf dem Weg an die Spitze selbst im Weg. Sie forderten nicht das ein, was ihren männlichen Kollegen ganz selbstverständlich zustünde, beispielsweise gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies löse in den Frauen Stress aus, was bisweilen sogar bis zum emotionalen Zusammenbruch führen könne. In diesem Punkt spricht Frau Meckel aus Erfahrung, denn sie selbst hatte 2008 einen Burnout. Ihre Erfahrungen mit dem Burnout-Syndrom veröffentlichte sie dieses Jahr in dem Buch "Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout". Dass sie im Laufe ihrer steilen Karriere oft die einzige Frau unter Männern gewesen sei, habe rückblickend betrachtet bei ihrem Zusammenbruch eine Rolle gespielt. Die einzige Frau zu sein sei zwar ein Alleinstellungsmerkmal, aber auch ein Zeichen der immer noch fortwährenden massiven Missständen.
Frauen müssen mutiger werden, so Meckel, sie müssen "nein" sagen und Forderungen stellen. Da dies gemeinsam besser ginge als alleine, müssen Frauen außerdem Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meckel forderte einen zeitgemäßen Genderdiskurs, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und mehr Frauen als Role Models zu gewinnen. Als Instrument zur Durchsetzung dieser Forderungen verwies sie auf gesetzliche Grundlagen, allen voran die Frauenquote. In Norwegen funktioniere dies sehr gut, dort seien heute bereits 40 Prozent der Führungsräte mit Frauen besetzt.
Nach dem Vortrag sprach die Journalistin Ferdos Forudastan, die die anschließende Diskussion moderierte, Frau Meckels Forderung nach einer Frauenquote an. Frau Meckel meinte, dass sie früher vehement gegen die Quote argument hätte. Heute würde sie aber sagen, dass es nicht anders ginge, um die gravierenden Missstände zu beseitigen. Deutschland sei ein Land der ängstlichen BewahrerInnen. Nicht umsonst gäbe es für das Wort "Rabenmutter” (verwendet für Mütter, die gleichzeitig arbeiten gehen) in keiner anderen Sprache eine Entsprechung. Auf die Frage von Forudastan, wie man den Diskurs umdrehen könne, antwortete Meckel, dass die bestehenden Strukuren aufgebrochen werden müssen.
In der sich anschließenden Diskussion wurde Frau Meckels Position für mehr Frauen in Führungspositionen mehrfach kritisiert. Frauen in Führungspositionen würden sich nicht zwangsläufig für mehr fortschrittliche Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, so eine Teilnehmerin. Dies würde an der Frauenquote der CSU oder der der Republikaner in den USA deutlich. Auch sollte der Fokus darauf gelegt werden, dass es bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur um die Führungspositionen gehen dürfe. Nur für mehr Frauen in Führungspositionen zu plädieren wäre eine zu kurze Sichtweise, da so der Fokus nur auf schon gut verdienende, bereits angestellte Frauen gerichtet würde. Frau Meckel entgegnete darauf, dass dies nur die Perspekte sei, die sie herausgegriffen habe, und dass die anderen Sichtweisen natürlich nicht vernachlässigt werden dürften.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es vielleicht ein guter Ansatz ist, vermehrt Frauen in Führungspositionen zu bringen, um so nachhaltig Unternehmenskultur zu ändern und mehr weiblichen Role Models den Weg zu ebnen, trotzdem darf nicht vernachlässigt werden, dass dies nicht der einzige Kampf ist, der geführt werden muss. Besonders auf den Schnittstellen von Sexismus, Klassismus und Rassismus (und natürlich anderen Ismen) wird sich so für die Mehrzahl aller Frauen nichts ändern.
Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung" am Abschlusstag der Konferenz wurde von vielen mit Spannung erwartet. Ihrem Vortrag zufolge gibt es drei zentrale Aspekte, die eine große Rolle bei der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: Erstens gibt es zu wenig Frauen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen innehaben. Zweitens fehlt es an weiblichen Role Models, die den Weg für jüngere Frauen weisen. Daran schließt sich Meckels dritte These an, dass es schwer ist, Frauen für aktive gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen, da viele unter einem geringen Selbstbewusstsein leiden.
Denn viele Frauen stünden sich auf dem Weg an die Spitze selbst im Weg. Sie forderten nicht das ein, was ihren männlichen Kollegen ganz selbstverständlich zustünde, beispielsweise gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies löse in den Frauen Stress aus, was bisweilen sogar bis zum emotionalen Zusammenbruch führen könne. In diesem Punkt spricht Frau Meckel aus Erfahrung, denn sie selbst hatte 2008 einen Burnout. Ihre Erfahrungen mit dem Burnout-Syndrom veröffentlichte sie dieses Jahr in dem Buch "Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout". Dass sie im Laufe ihrer steilen Karriere oft die einzige Frau unter Männern gewesen sei, habe rückblickend betrachtet bei ihrem Zusammenbruch eine Rolle gespielt. Die einzige Frau zu sein sei zwar ein Alleinstellungsmerkmal, aber auch ein Zeichen der immer noch fortwährenden massiven Missständen.
Frauen müssen mutiger werden, so Meckel, sie müssen "nein" sagen und Forderungen stellen. Da dies gemeinsam besser ginge als alleine, müssen Frauen außerdem Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meckel forderte einen zeitgemäßen Genderdiskurs, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und mehr Frauen als Role Models zu gewinnen. Als Instrument zur Durchsetzung dieser Forderungen verwies sie auf gesetzliche Grundlagen, allen voran die Frauenquote. In Norwegen funktioniere dies sehr gut, dort seien heute bereits 40 Prozent der Führungsräte mit Frauen besetzt.
Nach dem Vortrag sprach die Journalistin Ferdos Forudastan, die die anschließende Diskussion moderierte, Frau Meckels Forderung nach einer Frauenquote an. Frau Meckel meinte, dass sie früher vehement gegen die Quote argument hätte. Heute würde sie aber sagen, dass es nicht anders ginge, um die gravierenden Missstände zu beseitigen. Deutschland sei ein Land der ängstlichen BewahrerInnen. Nicht umsonst gäbe es für das Wort "Rabenmutter” (verwendet für Mütter, die gleichzeitig arbeiten gehen) in keiner anderen Sprache eine Entsprechung. Auf die Frage von Forudastan, wie man den Diskurs umdrehen könne, antwortete Meckel, dass die bestehenden Strukuren aufgebrochen werden müssen.
In der sich anschließenden Diskussion wurde Frau Meckels Position für mehr Frauen in Führungspositionen mehrfach kritisiert. Frauen in Führungspositionen würden sich nicht zwangsläufig für mehr fortschrittliche Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, so eine Teilnehmerin. Dies würde an der Frauenquote der CSU oder der der Republikaner in den USA deutlich. Auch sollte der Fokus darauf gelegt werden, dass es bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur um die Führungspositionen gehen dürfe. Nur für mehr Frauen in Führungspositionen zu plädieren wäre eine zu kurze Sichtweise, da so der Fokus nur auf schon gut verdienende, bereits angestellte Frauen gerichtet würde. Frau Meckel entgegnete darauf, dass dies nur die Perspekte sei, die sie herausgegriffen habe, und dass die anderen Sichtweisen natürlich nicht vernachlässigt werden dürften.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es vielleicht ein guter Ansatz ist, vermehrt Frauen in Führungspositionen zu bringen, um so nachhaltig Unternehmenskultur zu ändern und mehr weiblichen Role Models den Weg zu ebnen, trotzdem darf nicht vernachlässigt werden, dass dies nicht der einzige Kampf ist, der geführt werden muss. Besonders auf den Schnittstellen von Sexismus, Klassismus und Rassismus (und natürlich anderen Ismen) wird sich so für die Mehrzahl aller Frauen nichts ändern.
Zweisame Demokratie? Interview mit Ins A Kromminga
Ins A Kromminga ist Künstler_in und Aktivist_in in der Internationalen Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen. Nachdem sie_er in Forum 9 über die Grenzen und Ausschlüsse der zweigeschlechtlichen Ordnung gesprochen hatte, bat ihn_sie Missy noch mal zur Privataudienz.
Von Sonja Erkens
Missy Magazine: Liebe...r, äh...ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Dich ansprechen oder über Dich schreiben soll... Welche Pronomen sind Dir denn am liebsten, Du bezeichnest Dich ja als „eindeutig zwischengeschlechtlich“...
Kromminga: Schriftlich gibt es ja mittlerweile den Unterstrich, also die gap-Schreibweise; im Panel haben wir versucht, das auch so zu sprechen, also beispielsweise „Sprecher_innen“ zu sagen. Bei Pronomen benutze ich meistens Doppelungen, also „der_die Sprecher_in“ – wichtig ist mir dabei, immer auf den Unterstrich hinzuweisen, der einen Raum zwischen den Geschlechtern anzeigt.
Missy Magazine: Und wie funktioniert das in der Praxis, also auf welche Resonanz stößt Du damit? Wir haben ja im Forum gehört, dass das gesellschaftliche Bewusstsein um Menschen jenseits des polaren Geschlechterkonzeptes eher gering ist.
Kromminga: Ja, die meisten Menschen akzeptieren das zwar und bemühen sich, mich nicht als Frau oder Mann anzusprechen – dass es ihnen trotzdem nicht leicht fällt, mich auch tatsächlich nicht als Frau oder Mann, sondern als etwas dazwischen zu sehen, zeigt sich dann aber doch meistens darin, dass sie sich verhaspeln oder in einer Situation „er“ und wenige Momente später „sie“ sagen. (lacht) Über diese Verwirrung freue ich mich aber eigentlich eher.
Missy Magazine: Auch innerhalb feministischer Diskurse geht es ja häufig sehr identitätspolitisch zu, also besteht der Anspruch, ganz generell „Fraueninteressen“ zu diskutieren oder zu vertreten. In welcher Rolle siehst Du Dich, die_der Du ja keine Frau bist, auf diesem Kongress?
Kromminga: Also ich finde es erstmal super, dass wir hier einen Raum haben, um darauf hinzuweisen, dass die Idee von queer eben weiter geht und gehen muss, als vielleicht die feministische, die sich meistens nur auf die Gruppe der „Frauen“ bezieht. Identitätspolitik finde ich aber völlig okay, wir arbeiten ja auch identitätspolitisch und sagen von uns, dass wir inter*, trans* beziehungsweise queer sind. Mir ist dabei wichtig, dass diese inter*, trans* und sonstige queer-Identitäten, die wir uns ja auch erst erarbeiten mussten, einen gleichberechtigten Status bekommen wie „männlich und weiblich“ – denn eine generelle Kritik der Heteronormativität ist für alle Menschen sinnvoll!
Missy Magazine: Liegt da nicht noch ein ziemlich langer Weg vor Euch? „Feministinnen“ wie Susan Pinker, die hier auch einen Vortrag gehalten hat, vertreten ja nach wie vor die Ansicht, Geschlecht sei biologisch bestimmbar, was sich an verschiedenen Gehirnschemata von Mädchen und Jungen beweisen ließe...
Kromminga: Bei solchen biologistischen Erklärungen reagiere ich erstmal allergisch (lacht): Wieso soll ich mir von Naturwissenschaftler_innen erklären lassen, wer oder was ich bin?! Aber das wurde ja auch im Panel thematisiert, dass die Biologie Menschen kategorisiert und für krank erklärt und eben nicht danach fragt, wie sich diese Menschen selbst sehen oder als was sie sich empfinden. Für meine Begriffe hat aber die Kultur einen viel größeren Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, was uns als Menschen ausmacht.
Missy Magazine: Vielen Dank für das Gespräch!
Von Sonja Erkens
Missy Magazine: Liebe...r, äh...ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Dich ansprechen oder über Dich schreiben soll... Welche Pronomen sind Dir denn am liebsten, Du bezeichnest Dich ja als „eindeutig zwischengeschlechtlich“...
Kromminga: Schriftlich gibt es ja mittlerweile den Unterstrich, also die gap-Schreibweise; im Panel haben wir versucht, das auch so zu sprechen, also beispielsweise „Sprecher_innen“ zu sagen. Bei Pronomen benutze ich meistens Doppelungen, also „der_die Sprecher_in“ – wichtig ist mir dabei, immer auf den Unterstrich hinzuweisen, der einen Raum zwischen den Geschlechtern anzeigt.
Missy Magazine: Und wie funktioniert das in der Praxis, also auf welche Resonanz stößt Du damit? Wir haben ja im Forum gehört, dass das gesellschaftliche Bewusstsein um Menschen jenseits des polaren Geschlechterkonzeptes eher gering ist.
Kromminga: Ja, die meisten Menschen akzeptieren das zwar und bemühen sich, mich nicht als Frau oder Mann anzusprechen – dass es ihnen trotzdem nicht leicht fällt, mich auch tatsächlich nicht als Frau oder Mann, sondern als etwas dazwischen zu sehen, zeigt sich dann aber doch meistens darin, dass sie sich verhaspeln oder in einer Situation „er“ und wenige Momente später „sie“ sagen. (lacht) Über diese Verwirrung freue ich mich aber eigentlich eher.
Missy Magazine: Auch innerhalb feministischer Diskurse geht es ja häufig sehr identitätspolitisch zu, also besteht der Anspruch, ganz generell „Fraueninteressen“ zu diskutieren oder zu vertreten. In welcher Rolle siehst Du Dich, die_der Du ja keine Frau bist, auf diesem Kongress?
Kromminga: Also ich finde es erstmal super, dass wir hier einen Raum haben, um darauf hinzuweisen, dass die Idee von queer eben weiter geht und gehen muss, als vielleicht die feministische, die sich meistens nur auf die Gruppe der „Frauen“ bezieht. Identitätspolitik finde ich aber völlig okay, wir arbeiten ja auch identitätspolitisch und sagen von uns, dass wir inter*, trans* beziehungsweise queer sind. Mir ist dabei wichtig, dass diese inter*, trans* und sonstige queer-Identitäten, die wir uns ja auch erst erarbeiten mussten, einen gleichberechtigten Status bekommen wie „männlich und weiblich“ – denn eine generelle Kritik der Heteronormativität ist für alle Menschen sinnvoll!
Missy Magazine: Liegt da nicht noch ein ziemlich langer Weg vor Euch? „Feministinnen“ wie Susan Pinker, die hier auch einen Vortrag gehalten hat, vertreten ja nach wie vor die Ansicht, Geschlecht sei biologisch bestimmbar, was sich an verschiedenen Gehirnschemata von Mädchen und Jungen beweisen ließe...
Kromminga: Bei solchen biologistischen Erklärungen reagiere ich erstmal allergisch (lacht): Wieso soll ich mir von Naturwissenschaftler_innen erklären lassen, wer oder was ich bin?! Aber das wurde ja auch im Panel thematisiert, dass die Biologie Menschen kategorisiert und für krank erklärt und eben nicht danach fragt, wie sich diese Menschen selbst sehen oder als was sie sich empfinden. Für meine Begriffe hat aber die Kultur einen viel größeren Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, was uns als Menschen ausmacht.
Missy Magazine: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Missy-Team bei der Arbeit
Svenja Schröder, Social Media Nerd_in |
Claire Horst, prekäre Agent_in |
Vera Hofmann, Scheinwerfer_in |
Sonja Erkens, Bodenpersonal_in |
Margarita Tsomou, Redaktionspräsident_in |
Juli Reineke, Videofüchs_in |
Forum 9: Zweisame Demokratie? Gegenwart, Widerstand und Perspektiven
Von Sonja Erkens
„All Genders welcome!“ hieß es ermutigend in der Kongressankündigung und höchst wahrscheinlich wurde diese Aufforderung am konsequentesten in Forum neun erfüllt: Erfahrungen mit den Grenzen und Ausschlüssen von Zweigeschlechtlichkeit gab es dort quasi aus erster Hand, also von Menschen, die sich als Trans* oder Inter* begreifen. „Wir sagen Trans oder Inter und denken uns das Sternchen dahinter dazu“, erläuterte Adrian da Silva von der Berliner Humboldt-Universität. „Das bietet die Möglichkeit, sowohl beispielsweise Intersexuelle wie auch Intergender-Identifizierte anzusprechen.“
Als erster Stolperstein beim Sprechen über und vor allem mit Menschen, die sich keinem der üblicherweise zwei angebotenen Geschlechter zugehörig fühlen, entpuppte sich nämlich – ganz banal – die Sprache selbst: Wo Worte fehlen, fehlt letztlich auch das Bewusstsein um die Existenz dessen, was benannt werden müsste.
Dass die Medizin sehr wohl über ein Repertoire an Begriffen verfügt, mit denen sie Menschen mit beispielsweise sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen beschreibt, erläuterte Ulrike Klöppel von der Charité Berlin – allerdings dienten diese Begriffe immer der Pathologisierung, also dazu, etwa intersexuelle Menschen als „krank“ zu definieren - weil sie als Ausnahme von der Regel begriffen werden. Gegen diese Annahme, also dass die häufig auch „Hermaphroditen“ genannten Menschen durch hormonelle „Therapien“ oder gar operative „Geschlechtsangleichung“ „geheilt“ werden müssten, setzt sich die_der Künstler_in und Aktivist_in (Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen) Ins A Kromminga seit Jahren ein: „Inter* ist keine Krankheit, sondern eine Form des Menschseins!“, sagt Kromminga, die_der sich selbst als „eindeutig zwischengeschlechtlich“ bezeichnet.
In der bisweilen traurigen Realität ist diese Sichtweise jedoch eher eine randständige. Konstanze Plett, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Bremen wies auf das Transsexuellengesetz hin, das eine Geschlechtsumwandlung nur dann als rechtskräftig erklärt, wenn sich die betreffende Person sterilisieren lässt, sodass beispielsweise eine ehemals biologische Frau, die nun als Mann lebt, nicht schwanger werden kann: „Diese Gesetzgebung ist skandalös und verstößt gegen die Menschenrechte!“
Auch Arn Thorben Sauer vom Verein TransInterQueer präsentierte eher deprimierende Zahlen hinsichtlich der Diskriminierung von Trans*-Menschen: Ein überwiegender Teil derer, die im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht wechseln, hat bei Vorstellungsgesprächen schlechte Karten, verdient miserabel und leidet zu allem Übel noch häufig an Depressionen.
Nur was tun, um die vermeintlich natürliche Zweigeschlechtlichkeit, die uns nur in wenigen Lebensbereichen nicht begegnet, ein bisschen aufzulösen? Bei aller Bescheidenheit schlägt Uta Schirmer, Dozentin an der Wiesbadener Hochschule RheinMain, die eine oder andere Drag-Kinging(oder –queening)-Session vor: ein bisschen angeklebtes Gesichtshaar sei manchmal schon genug, um zu verdeutlichen, dass die Grenzen zwischen „weiblich“ und „männlich“ fließend sind – und ein bisschen Verwirrung der eigenen Umwelt kann ja bekanntermaßen nie schaden.
Was sagen die TeilnehmerInnen? Kommentare zum Kongress
Was sagen die TeilnehmerInnen zum Kongress? Was gefiel und was ist hängen geblieben? Ein paar Eindrücke:
"Programm und Themenstellung und die Besetzung mit den Referenten war sehr gut und interessant. Ein interessanter Blick von verschiedenen Fachrichtungen aus. Ich bin sehr überrascht über die Qualität der Beiträge. Die Diskussion in Forum 10 'Verhandlungssache Familie' fand ich besonders gut, dabei ist viel für mich persönlich herausgekommen. Erwartungen am Arbeitsplatz vs. Rollenverteilung in der Familie ist ein spannendes Spannungsfeld." (anonym)
"Die Workshops heben sich ganz deutlich ab von der Key Lecture ab. Was ich für mich als Gleichstellungsbeauftragte sehr schwierig finde, ist, das hohe Niveau des fachlichen Inputs in meine Arbeit zu übertragen. Mir fehlen die Transferwege von den soziologischen Theorien in meinen Arbeitsalltag. Ich war in zwei ganz tollen Foren, einmal Forum 10 'Verhandlungssache Familie', auch wenn Angela McRobbie leider nicht da war, und dann das Forum 8 'Ich bin Porno', in dem die gesellschaftskritische und pragmatische Seite gut dargestellt wurde." (Kerstin Schoneboom, Fachhochschule Kiel)
"Mein Eindruck ist durchwachsen. Besonders ist mir die Eröffnung im Gedächtnis geblieben, weil ich sehr begeistert war über die Einleitung. Es war eine sehr politische Einleitung, in der auch sonst marginalisierte oder verschwiegene Einsprüche in den weißen Mainstream-Feminismus angesprochen wurden. Entsetzt war ich von der Auswahl der Referentin für den Eröffnungsvortrag, der im krassen Gegensatz zur Einleitung von Thomas Krüger stand, und für eine Rebiologisierung und Entpolitisierung der Geschlechterverhältnisse plädierte. Das hat mich geärgert, weil es auf einer Tagung der politischen Bildung eigentlich darum gehen müsste, Geschlechterverhältnisse eben zu entbiologisieren und politisieren. Das warf bei mir sehr viele Fragen auf. Das Publikum ist sehr gemischt im Gegensatz zu anderen Geschlechterkonferenzen - dadurch wäre ein Dialog möglich gewesen, der leider nicht in einem Maße zustande gekommen ist, wie ich es mir gewünscht hätte." (Dr. Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe, FU Berlin)
Symbolische Selbstverleugnung
Die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit sollte ein besseres Leben ermöglichen. Aber wurde dieses Ziel auch erreicht? Neben den Erfolgsbilanzen fällt eine andere Entwicklung ins Auge: Frauen sind weniger zufrieden und leiden besonders unter Depressionen und Burn-Out. Aber war Glück je der passende Parameter? Und wer oder was bestimmt ein gutes Leben?
Key Lecture von Prof. Dr. Miriam Meckel, Universität Sankt Gallen
Forum 8: Ich bin Porno! – Die neue sexuelle Revolution?
von Svenja Schröder und Sabine Rohlf
Es war nicht anders zu erwarten: bei einem Panel mit einem solch brisantem Thema war der Raum voll, als Nana Adusei-Poku die TeilnehmerInnen begrüßte. Um alle Anwesenden auf das Thema einzustimmen, zeigte die Promovendin im Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" an der HU Berlin in ihrer Einführungspräsentation Werbebilder mit Pornoreferenzen, die in unserer Konsumwelt zum Alltag gehören: z.B. phallusartige Lippenstifte und schamverhüllende Parfumflakons. Dabei stellte sie mehrere Fragen: Wer wird hier eigentlich befriedigt? Sind DIY-Pornos die neue sexuelle Revolution? Und welche Auswirkungen hat die Bildersprache von Porno auf unsere Sexualität und unsere Beziehungen?
Johannes Gernert bei seinem Input-Vortrag |
Den ersten Inputvortrag hielt Silja Matthiesen vom Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und zwang dem Veranstaltungstitel zwei Fragezeichen auf: "Bin ich Porno? - Eine neue sexuelle Revolution?" Sie berichtete von ihrer Studie zu Jugendsexualität und den Auswirkungen von Pornografie auf Jugendliche. Jenseits von Medienberichten, wie dem 2007 erschienenen Stern-Artikel "Voll Porno! Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist", lässt Matthiesen die Jugendlichen und nicht die Medien sprechen. Ihren Befunden zufolge gehören Pornos heutzutage mehr und mehr zum Alltag der Jugendlichen, wobei eher Jungen als Mädchen pornografisches Material konsumieren. Ihr Fazit dazu ist, dass die Normalisierung von Pornografie dazu führt, dass die Jugendlichen gelassen und sogar belustigt Sexszenen gucken können, ohne direkt alles zwanghaft nachzunahmen. Sie spricht hierbei von sexueller Zivilisierung der Jugendlichen.
Linda Hentschel und Antke Engel |
Johannes Gernert, Autor des 2010 erschienenen Buches "Generation Porno", ging näher auf die von Pornografie veränderten Körperbilder von Jugendlichen ein. Seine Frage war, ob sich Jugendliche heute in Zeiten von StudiVZ und Youporn stärker mit ihrem eigenen Körper beschäftigen. Für ihn ist Pornographie auch eine Form der Inszenierung – man tut so, als wäre es echter Sex, aber mit großer Show drumherum. Leider wurde trotz einiger Statistiken in seinem Vortrag nicht klar, ob Pornographie Körperbilder von Jugendlichen beeinflusst oder nicht.
Antke Engel bei ihrem Vortrag |
Intensiv diskutiert wurde nach der Pause das Statement von Antke Engel, der Leiterin des Queer Instituts Berlin, insbesondere ihre Ausführungen zu Gesetzesinitiativen gegen Frauenhandel und Genitalverstümmelung. Sie reproduzierten ihrer Meinung nach die problematische Opposition „der westlichen Zivilisation gegen das unzivilisierte andere“, zementierten so die Binarität zwischen weiblichem Opfer und männlichem Retter und seien entsprechend zu kritisieren. Das provozierte einigen Widerspruch, da es wichtig sei, gegen solche Formen von Gewalt gegen Frauen anzugehen. Dass es gar nicht um das Ob, sondern um das Wie ging, zeigte sich spätestens bei dem Beispiel, das Linda Hentschel in die Diskussion einführte: Am Beispiel eines Time Magazine-Titels erläuterte sie, wie ein Bild einer im Gesicht verstümmelten Frau mit Kopftuch zum Zwecke der westlichen Kriegspropaganda missbraucht wurde ("What happens if we leave Afghanistan").
Zahlreiche Wortmeldungen |
Auch die Frage, inwieweit Pornos oder sexualisierte Bilder im Netz nicht auch der (z.B. weiblichen) Selbstermächtigung dienen können oder einen Raum für nicht normgerechte Geschlechter und Begehrensformen eröffnen, wurde ziemlich lebhaft diskutiert. Dabei zeigte sich, dass sich Theorie und Empirie ziemlich gut verständigen können. Die eher diskurstheoretischen Überlegungen von Hentschel und Engel ließen sich bestens mit denen von Johannes Gerner und Silja Matthiesen verbinden. Das läuft bekanntlich nicht immer so gut und war an dieser Stelle sehr produktiv.
Nana Adusei-Poku und Johannes Gernert |
Linda Hentschel |
Die Frage, wer jetzt Porno ist, wurde nicht beantwortet. Was aber auch nicht so schlimm ist, denn Nana Adusei-Poku betonte direkt zu Anfang, dass dieses Panel nicht die Frage lösen könne, was Porno denn nun sei. Da bleibt uns nur noch, Manuela Kay (Chefredakteurin der Zeitschrift L-Mag) zu zitieren, die auf der Konferenz „Gender Happening“ des Gunda-Werner-Instituts die Subjektivität solcher Aussagen betonte: "Guter Porno ist das, was mir gefällt."
Das Publikum diskutiert rege mit |
Im Schnelldurchlauf
Paralell fanden am Freitag Vormittag sechs Foren und am Nachmittag fünf Foren statt. Das Video "Fast Forward" gibt einen kurzen Einblick in die Vielseitigkeit des Kongresses.
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