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Samstag, 30. Oktober 2010

Key Lecture mit Miriam Meckel


Miriam Meckel von der Universität St. Gallen hält die Key Lecture am Samstag, den 30.10.2010. Das Video zeigt kurze Ausschnitte aus ihrer Rede und aus der anschließenden Diskussion.

Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung"


von Svenja Schröder

Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung" am Abschlusstag der Konferenz wurde von vielen mit Spannung erwartet. Ihrem Vortrag zufolge gibt es drei zentrale Aspekte, die eine große Rolle bei der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: Erstens gibt es zu wenig Frauen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen innehaben. Zweitens fehlt es an weiblichen Role Models, die den Weg für jüngere Frauen weisen. Daran schließt sich Meckels dritte These an, dass es schwer ist, Frauen für aktive gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen, da viele unter einem geringen Selbstbewusstsein leiden.

Denn viele Frauen stünden sich auf dem Weg an die Spitze selbst im Weg. Sie forderten nicht das ein, was ihren männlichen Kollegen ganz selbstverständlich zustünde, beispielsweise gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies löse in den Frauen Stress aus, was bisweilen sogar bis zum emotionalen Zusammenbruch führen könne. In diesem Punkt spricht Frau Meckel aus Erfahrung, denn sie selbst hatte 2008 einen Burnout. Ihre Erfahrungen mit dem Burnout-Syndrom veröffentlichte sie dieses Jahr in dem Buch "Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout". Dass sie im Laufe ihrer steilen Karriere oft die einzige Frau unter Männern gewesen sei, habe rückblickend betrachtet bei ihrem Zusammenbruch eine Rolle gespielt. Die einzige Frau zu sein sei zwar ein Alleinstellungsmerkmal, aber auch ein Zeichen der immer noch fortwährenden massiven Missständen.

Frauen müssen mutiger werden, so Meckel, sie müssen "nein" sagen und Forderungen stellen. Da dies gemeinsam besser ginge als alleine, müssen Frauen außerdem Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meckel forderte einen zeitgemäßen Genderdiskurs, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und mehr Frauen als Role Models zu gewinnen. Als Instrument zur Durchsetzung dieser Forderungen verwies sie auf gesetzliche Grundlagen, allen voran die Frauenquote. In Norwegen funktioniere dies sehr gut, dort seien heute bereits 40 Prozent der Führungsräte mit Frauen besetzt.

Nach dem Vortrag sprach die Journalistin Ferdos Forudastan, die die anschließende Diskussion moderierte, Frau Meckels Forderung nach einer Frauenquote an. Frau Meckel meinte, dass sie früher vehement gegen die Quote argument hätte. Heute würde sie aber sagen, dass es nicht anders ginge, um die gravierenden Missstände zu beseitigen. Deutschland sei ein Land der ängstlichen BewahrerInnen. Nicht umsonst gäbe es für das Wort "Rabenmutter” (verwendet für Mütter, die gleichzeitig arbeiten gehen) in keiner anderen Sprache eine Entsprechung. Auf die Frage von Forudastan, wie man den Diskurs umdrehen könne, antwortete Meckel, dass die bestehenden Strukuren aufgebrochen werden müssen.

In der sich anschließenden Diskussion wurde Frau Meckels Position für mehr Frauen in Führungspositionen mehrfach kritisiert. Frauen in Führungspositionen würden sich nicht zwangsläufig für mehr fortschrittliche Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, so eine Teilnehmerin. Dies würde an der Frauenquote der CSU oder der der Republikaner in den USA deutlich. Auch sollte der Fokus darauf gelegt werden, dass es bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur um die Führungspositionen gehen dürfe. Nur für mehr Frauen in Führungspositionen zu plädieren wäre eine zu kurze Sichtweise, da so der Fokus nur auf schon gut verdienende, bereits angestellte Frauen gerichtet würde. Frau Meckel entgegnete darauf, dass dies nur die Perspekte sei, die sie herausgegriffen habe, und dass die anderen Sichtweisen natürlich nicht vernachlässigt werden dürften.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es vielleicht ein guter Ansatz ist, vermehrt Frauen in Führungspositionen zu bringen, um so nachhaltig Unternehmenskultur zu ändern und mehr weiblichen Role Models den Weg zu ebnen, trotzdem darf nicht vernachlässigt werden, dass dies nicht der einzige Kampf ist, der geführt werden muss. Besonders auf den Schnittstellen von Sexismus, Klassismus und Rassismus (und natürlich anderen Ismen) wird sich so für die Mehrzahl aller Frauen nichts ändern.

Zweisame Demokratie? Interview mit Ins A Kromminga


Ins A Kromminga ist Künstler_in und Aktivist_in in der Internationalen Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen. Nachdem sie_er in Forum 9 über die Grenzen und Ausschlüsse der zweigeschlechtlichen Ordnung gesprochen hatte, bat ihn_sie Missy noch mal zur Privataudienz.

Von Sonja Erkens

Missy Magazine: Liebe...r, äh...ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Dich ansprechen oder über Dich schreiben soll... Welche Pronomen sind Dir denn am liebsten, Du bezeichnest Dich ja als „eindeutig zwischengeschlechtlich“...

Kromminga: Schriftlich gibt es ja mittlerweile den Unterstrich, also die gap-Schreibweise; im Panel haben wir versucht, das auch so zu sprechen, also beispielsweise „Sprecher_innen“ zu sagen. Bei Pronomen benutze ich meistens Doppelungen, also „der_die Sprecher_in“ – wichtig ist mir dabei, immer auf den Unterstrich hinzuweisen, der einen Raum zwischen den Geschlechtern anzeigt.

Missy Magazine: Und wie funktioniert das in der Praxis, also auf welche Resonanz stößt Du damit? Wir haben ja im Forum gehört, dass das gesellschaftliche Bewusstsein um Menschen jenseits des polaren Geschlechterkonzeptes eher gering ist.

Kromminga: Ja, die meisten Menschen akzeptieren das zwar und bemühen sich, mich nicht als Frau oder Mann anzusprechen – dass es ihnen trotzdem nicht leicht fällt, mich auch tatsächlich nicht als Frau oder Mann, sondern als etwas dazwischen zu sehen, zeigt sich dann aber doch meistens darin, dass sie sich verhaspeln oder in einer Situation „er“ und wenige Momente später „sie“ sagen. (lacht) Über diese Verwirrung freue ich mich aber eigentlich eher.

Missy Magazine: Auch innerhalb feministischer Diskurse geht es ja häufig sehr identitätspolitisch zu, also besteht der Anspruch, ganz generell „Fraueninteressen“ zu diskutieren oder zu vertreten. In welcher Rolle siehst Du Dich, die_der Du ja keine Frau bist, auf diesem Kongress?

Kromminga: Also ich finde es erstmal super, dass wir hier einen Raum haben, um darauf hinzuweisen, dass die Idee von queer eben weiter geht und gehen muss, als vielleicht die feministische, die sich meistens nur auf die Gruppe der „Frauen“ bezieht. Identitätspolitik finde ich aber völlig okay, wir arbeiten ja auch identitätspolitisch und sagen von uns, dass wir inter*, trans* beziehungsweise queer sind. Mir ist dabei wichtig, dass diese inter*, trans* und sonstige queer-Identitäten, die wir uns ja auch erst erarbeiten mussten, einen gleichberechtigten Status bekommen wie „männlich und weiblich“ – denn eine generelle Kritik der Heteronormativität ist für alle Menschen sinnvoll!

Missy Magazine: Liegt da nicht noch ein ziemlich langer Weg vor Euch? „Feministinnen“ wie Susan Pinker, die hier auch einen Vortrag gehalten hat, vertreten ja nach wie vor die Ansicht, Geschlecht sei biologisch bestimmbar, was sich an verschiedenen Gehirnschemata von Mädchen und Jungen beweisen ließe...

Kromminga: Bei solchen biologistischen Erklärungen reagiere ich erstmal allergisch (lacht): Wieso soll ich mir von Naturwissenschaftler_innen erklären lassen, wer oder was ich bin?! Aber das wurde ja auch im Panel thematisiert, dass die Biologie Menschen kategorisiert und für krank erklärt und eben nicht danach fragt, wie sich diese Menschen selbst sehen oder als was sie sich empfinden. Für meine Begriffe hat aber die Kultur einen viel größeren Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, was uns als Menschen ausmacht.

Missy Magazine: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Missy-Team bei der Arbeit

Svenja Schröder, Social Media Nerd_in

Claire Horst, prekäre Agent_in

Vera Hofmann, Scheinwerfer_in

Sonja Erkens, Bodenpersonal_in

Margarita Tsomou, Redaktionspräsident_in

Juli Reineke, Videofüchs_in

Forum 9: Zweisame Demokratie? Gegenwart, Widerstand und Perspektiven




Von Sonja Erkens

„All Genders welcome!“ hieß es ermutigend in der Kongressankündigung und höchst wahrscheinlich wurde diese Aufforderung am konsequentesten in Forum neun erfüllt: Erfahrungen mit den Grenzen und Ausschlüssen von Zweigeschlechtlichkeit gab es dort quasi aus erster Hand, also von Menschen, die sich als Trans* oder Inter* begreifen. „Wir sagen Trans oder Inter und denken uns das Sternchen dahinter dazu“, erläuterte Adrian da Silva von der Berliner Humboldt-Universität. „Das bietet die Möglichkeit, sowohl beispielsweise Intersexuelle wie auch Intergender-Identifizierte anzusprechen.“

Als erster Stolperstein beim Sprechen über und vor allem mit Menschen, die sich keinem der üblicherweise zwei angebotenen Geschlechter zugehörig fühlen, entpuppte sich nämlich – ganz banal – die Sprache selbst: Wo Worte fehlen, fehlt letztlich auch das Bewusstsein um die Existenz dessen, was benannt werden müsste.

Dass die Medizin sehr wohl über ein Repertoire an Begriffen verfügt, mit denen sie Menschen mit beispielsweise sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen beschreibt, erläuterte Ulrike Klöppel von der Charité Berlin – allerdings dienten diese Begriffe immer der Pathologisierung, also dazu, etwa intersexuelle Menschen als „krank“ zu definieren - weil sie als Ausnahme von der Regel begriffen werden. Gegen diese Annahme, also dass die häufig auch „Hermaphroditen“ genannten Menschen durch hormonelle „Therapien“ oder gar operative „Geschlechtsangleichung“ „geheilt“ werden müssten, setzt sich die_der Künstler_in und Aktivist_in (Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen) Ins A Kromminga seit Jahren ein: „Inter* ist keine Krankheit, sondern eine Form des Menschseins!“, sagt Kromminga, die_der sich selbst als „eindeutig zwischengeschlechtlich“ bezeichnet.

In der bisweilen traurigen Realität ist diese Sichtweise jedoch eher eine randständige. Konstanze Plett, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Bremen wies auf das Transsexuellengesetz hin, das eine Geschlechtsumwandlung nur dann als rechtskräftig erklärt, wenn sich die betreffende Person sterilisieren lässt, sodass beispielsweise eine ehemals biologische Frau, die nun als Mann lebt, nicht schwanger werden kann: „Diese Gesetzgebung ist skandalös und verstößt gegen die Menschenrechte!“

Auch Arn Thorben Sauer vom Verein TransInterQueer präsentierte eher deprimierende Zahlen hinsichtlich der Diskriminierung von Trans*-Menschen: Ein überwiegender Teil derer, die im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht wechseln, hat bei Vorstellungsgesprächen schlechte Karten, verdient miserabel und leidet zu allem Übel noch häufig an Depressionen.

Nur was tun, um die vermeintlich natürliche Zweigeschlechtlichkeit, die uns nur in wenigen Lebensbereichen nicht begegnet, ein bisschen aufzulösen? Bei aller Bescheidenheit schlägt Uta Schirmer, Dozentin an der Wiesbadener Hochschule RheinMain, die eine oder andere Drag-Kinging(oder –queening)-Session vor: ein bisschen angeklebtes Gesichtshaar sei manchmal schon genug, um zu verdeutlichen, dass die Grenzen zwischen „weiblich“ und „männlich“ fließend sind – und ein bisschen Verwirrung der eigenen Umwelt kann ja bekanntermaßen nie schaden.

Was sagen die TeilnehmerInnen? Kommentare zum Kongress


von Svenja Schröder

Was sagen die TeilnehmerInnen zum Kongress? Was gefiel und was ist hängen geblieben? Ein paar Eindrücke:

"Programm und Themenstellung und die Besetzung mit den Referenten war sehr gut und interessant. Ein interessanter Blick von verschiedenen Fachrichtungen aus. Ich bin sehr überrascht über die Qualität der Beiträge. Die Diskussion in Forum 10 'Verhandlungssache Familie' fand ich besonders gut, dabei ist viel für mich persönlich herausgekommen. Erwartungen am Arbeitsplatz vs. Rollenverteilung in der Familie ist ein spannendes Spannungsfeld." (anonym)

"Die Workshops heben sich ganz deutlich ab von der Key Lecture ab. Was ich für mich als Gleichstellungsbeauftragte sehr schwierig finde, ist, das hohe Niveau des fachlichen Inputs in meine Arbeit zu übertragen. Mir fehlen die Transferwege von den soziologischen Theorien in meinen Arbeitsalltag. Ich war in zwei ganz tollen Foren, einmal Forum 10 'Verhandlungssache Familie', auch wenn Angela McRobbie leider nicht da war, und dann das Forum 8 'Ich bin Porno', in dem die gesellschaftskritische und pragmatische Seite gut dargestellt wurde." (Kerstin Schoneboom, Fachhochschule Kiel)

"Mein Eindruck ist durchwachsen. Besonders ist mir die Eröffnung im Gedächtnis geblieben, weil ich sehr begeistert war über die Einleitung. Es war eine sehr politische Einleitung, in der auch sonst marginalisierte oder verschwiegene Einsprüche in den weißen Mainstream-Feminismus angesprochen wurden. Entsetzt war ich von der Auswahl der Referentin für den Eröffnungsvortrag, der im krassen Gegensatz zur Einleitung von Thomas Krüger stand, und für eine Rebiologisierung und Entpolitisierung der Geschlechterverhältnisse plädierte. Das hat mich geärgert, weil es auf einer Tagung der politischen Bildung eigentlich darum gehen müsste, Geschlechterverhältnisse eben zu entbiologisieren und politisieren. Das warf bei mir sehr viele Fragen auf. Das Publikum ist sehr gemischt im Gegensatz zu anderen Geschlechterkonferenzen - dadurch wäre ein Dialog möglich gewesen, der leider nicht in einem Maße zustande gekommen ist, wie ich es mir gewünscht hätte." (Dr. Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe, FU Berlin)

Symbolische Selbstverleugnung



Die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit sollte ein besseres Leben ermöglichen. Aber wurde dieses Ziel auch erreicht? Neben den Erfolgsbilanzen fällt eine andere Entwicklung ins Auge: Frauen sind weniger zufrieden und leiden besonders unter Depressionen und Burn-Out. Aber war Glück je der passende Parameter? Und wer oder was bestimmt ein gutes Leben?

Key Lecture von Prof. Dr. Miriam Meckel, Universität Sankt Gallen

Forum 8: Ich bin Porno! – Die neue sexuelle Revolution?


von Svenja Schröder und Sabine Rohlf

Es war nicht anders zu erwarten:  bei einem Panel mit einem solch brisantem Thema war der Raum voll, als Nana Adusei-Poku die TeilnehmerInnen begrüßte. Um alle Anwesenden auf das Thema einzustimmen, zeigte die Promovendin im Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" an der HU Berlin in ihrer Einführungspräsentation Werbebilder mit Pornoreferenzen, die in unserer Konsumwelt zum Alltag gehören: z.B. phallusartige Lippenstifte und schamverhüllende Parfumflakons. Dabei stellte sie mehrere Fragen: Wer wird hier eigentlich befriedigt? Sind DIY-Pornos die neue sexuelle Revolution? Und welche Auswirkungen hat die Bildersprache von Porno auf unsere Sexualität und unsere Beziehungen?

Johannes Gernert bei seinem Input-Vortrag

Den ersten Inputvortrag hielt Silja Matthiesen vom Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und zwang dem Veranstaltungstitel zwei Fragezeichen auf: "Bin ich Porno? - Eine neue sexuelle Revolution?" Sie berichtete von ihrer Studie zu Jugendsexualität und den Auswirkungen von Pornografie auf Jugendliche. Jenseits von Medienberichten, wie dem 2007 erschienenen Stern-Artikel "Voll Porno! Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist", lässt Matthiesen die Jugendlichen und nicht die Medien sprechen. Ihren Befunden zufolge gehören Pornos heutzutage mehr und mehr zum Alltag der Jugendlichen, wobei eher Jungen als Mädchen pornografisches Material konsumieren. Ihr Fazit dazu ist, dass die Normalisierung von Pornografie dazu führt, dass die Jugendlichen gelassen und sogar belustigt Sexszenen gucken können, ohne direkt alles zwanghaft nachzunahmen. Sie spricht hierbei von sexueller Zivilisierung der Jugendlichen.

Linda Hentschel und Antke Engel

Johannes Gernert, Autor des 2010 erschienenen Buches "Generation Porno", ging näher auf die von Pornografie veränderten Körperbilder von Jugendlichen ein. Seine Frage war, ob sich Jugendliche heute in Zeiten von StudiVZ und Youporn stärker mit ihrem eigenen Körper beschäftigen. Für ihn ist Pornographie auch eine Form der Inszenierung – man tut so, als wäre es echter Sex, aber mit großer Show drumherum. Leider wurde trotz einiger Statistiken in seinem Vortrag nicht klar, ob Pornographie Körperbilder von Jugendlichen beeinflusst oder nicht.

Antke Engel bei ihrem Vortrag

Intensiv diskutiert wurde nach der Pause das Statement von Antke Engel, der Leiterin des Queer Instituts Berlin, insbesondere ihre Ausführungen zu Gesetzesinitiativen gegen Frauenhandel und Genitalverstümmelung. Sie reproduzierten ihrer Meinung nach die problematische Opposition „der westlichen Zivilisation gegen das unzivilisierte andere“, zementierten so die Binarität zwischen weiblichem Opfer und männlichem Retter und seien entsprechend zu kritisieren. Das provozierte einigen Widerspruch, da es wichtig sei, gegen solche Formen von Gewalt gegen Frauen anzugehen. Dass es gar nicht um das Ob, sondern um das Wie ging, zeigte sich spätestens bei dem Beispiel, das Linda Hentschel in die Diskussion einführte: Am Beispiel eines Time Magazine-Titels erläuterte sie, wie ein Bild einer im Gesicht verstümmelten Frau mit Kopftuch zum Zwecke der westlichen Kriegspropaganda missbraucht wurde ("What happens if we leave Afghanistan").

Zahlreiche Wortmeldungen

Auch die Frage, inwieweit Pornos oder sexualisierte Bilder im Netz nicht auch der (z.B. weiblichen) Selbstermächtigung dienen können oder einen Raum für nicht normgerechte Geschlechter und Begehrensformen eröffnen, wurde ziemlich lebhaft diskutiert. Dabei zeigte sich, dass sich Theorie und Empirie ziemlich gut verständigen können. Die eher diskurstheoretischen Überlegungen von Hentschel und Engel ließen sich bestens mit denen von Johannes Gerner und Silja Matthiesen verbinden. Das läuft bekanntlich nicht immer so gut und war an dieser Stelle sehr produktiv.

Nana Adusei-Poku und Johannes Gernert

Linda Hentschel

Die Frage, wer jetzt Porno ist, wurde nicht beantwortet. Was aber auch nicht so schlimm ist, denn Nana Adusei-Poku betonte direkt zu Anfang, dass dieses Panel nicht die Frage lösen könne, was Porno denn nun sei. Da bleibt uns nur noch, Manuela Kay (Chefredakteurin der Zeitschrift L-Mag) zu zitieren, die auf der Konferenz „Gender Happening“ des Gunda-Werner-Instituts die Subjektivität solcher Aussagen betonte: "Guter Porno ist das, was mir gefällt."

Das Publikum diskutiert rege mit

Im Schnelldurchlauf


Paralell fanden am Freitag Vormittag sechs Foren und am Nachmittag fünf Foren statt. Das Video "Fast Forward" gibt einen kurzen Einblick in die Vielseitigkeit des Kongresses.

Freitag, 29. Oktober 2010

Forum 11: Die virtuelle Buchführung der Liebe


von Elisabeth R. Hager

Nach dem Besuch der Diskussionsrunde „Eine Liebe wie Buchhaltung: Romantische Beziehungen und Pragmatismus im Konsumzeitalter“ sieht es so aus, als tummelten sich in den virtuellen Sphären des Internets Lebens- und Liebesentwürfe, denen nicht mehr gemeinsam ist als ein je eigener E-Mailaccount. Unter der Leitung der Publizistin Mercedes Bunz diskutierten der Soziologe und Geschichtswissenschaftler Bastian Schmithal, die Journalistin und Internet-Datingexpertin Judith Alwin sowie die interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić über die Liebe im Zeitalter ihrer virtuellen Verfügbarkeit.



Der Familien- und Partnerschaftssoziologe Bastian Schmithal sprach über medial geschürte Vorstellungen von Liebesbeziehungen und ihre Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen. Dabei beschäftigte er sich allerdings ausschließlich mit der Institution Ehe und verlor kein Wort über die negativen Implikationen der Ehe als System stützendes Element in der patriachalen Gesellschaft. In der anschließenden Diskussion wurde ebenfalls kritisch angemerkt, dass nicht normative Liebesmodelle im Referat unter den Tisch gefallen waren.



Wer geglaubt hatte, der nächste Diskussionsbeitrag würde ein paar Schritte weiter in Richtung queer diversity gehen, wurde eines Besseren belehrt. Judith Alwin, Erfolgsautorin des Buches „Ins Netz gegangen“ zeichnete ein Bild der Liebesforen im Internet, das eher an die Fünfzigerjahre erinnerte denn an 2010. In der Diskussion hielten gleich mehrere Frauen aus dem Publikum entgegen, dass im Netz weit mehr existiere, als der von Alwin heraufbeschworene „Otto-Katalog für Partnersuchende“.



Nach der Pause bekam die Veranstaltung durch den Redebeitrag der Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić dann doch noch einen subversiven Turn. Ostojić stellte ihre Kunstaktion „Searching for a husband with EU passport“ (2000-2005) vor, an deren Anfang sie sich als kahl rasierte, heiratswillige Migrantin im Internet auf die Suche nach einem potentiellen Ehemann gemacht hatte. Zahlreiche Reaktionen heiratswilliger Männer veröffentlichte sie im Internet. Schließlich heiratete sie, zog zu ihrem Mann nach Deutschland und veröffentlichte die Ehe inklusive der Scheidungsparty als Kunstaktion.

In der Schlussrunde standen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf die Ehe dann noch einmal monolithisch gegenüber. Mercedes Bunz allerdings verstand es gekonnt, die im Plenum geäußerte Kritik in ihr Schlussplädoyer einzubauen. Judith Alwin verwies erneut auf steinzeitliche Partnerstereotype im Internet, Bastian Schmithal riet zu mehr Vernunft in Liebesdingen und die Forderung von Tanja Ostojić soll auch Schlusswort dieses Artikel sein: „Try to decolonise your minds!“

Fotostrecke - Impressionen vom Freitag

unser Missy Magazine-Pressebüro
unser Interview mit Eva Illouz
Ende des Tagesprogramms um 18.00 Uhr
we are still at work...

Forum 7: Fit für die Fortpflanzung? Körper für die Leistungsgesellschaft

Was bedeuten die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin für die Gesellschaft? Führen sie tatsächlich zu mehr Selbstbestimmung? Welche Rolle spielen unterschiedliche Akteur_innen in der Diskussion um das Recht auf Abtreibung?

Dr. Anne Waldschmidt, Professorin für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Sarah Diehl, Afrikawissenschaftlerin und Filmemacherin, und Lena Correll, Soziologin und Sinologin, diskutierten sehr unterschiedliche Aspekte der Fortpflanzungspolitik und -technologie. Demografische Entwicklung, ethische Argumentationen und ökonomische Zwänge spielen in der gesellschaftlichen Debatte ineinander.

von Claire Horst

Der Kulturanthropologe Sven Bergmann führte in das Thema Reproduktionstechnologie ein. Er wies auf die zentralen Veränderungen hin, die moderne Technologien für unser Verhältnis zum Körper bedeuten. So habe die Pille den weiblichen Körper kontrollierbarer gemacht. Visualisierende Methoden wie der Ultraschall hätten die Wahrnehmung von Mutterschaft verändert: Dass auf Bildern nur der Embryo zu sehen sei, reduziere die Mutter auf eine reine Nährumgebung.

Aufschlussreich sind auch die unterschiedlichen sprachlichen Herangehensweisen, die er zitierte. Von neutralen Bezeichnungen wie "Reproduktionsmedizin" über die euphemistische "Kinderwunschbehandlung" bis zum "Retortenbaby" oder "Cyborg" gehen die Semantisierungen, mit denen die Reproduktionsmedizin thematisiert wird.

Bergmann nannte schon die Spannungsfelder des Themas: Die Möglichkeit, kinderlosen Paaren zum Wunschkind zu verhelfen, führe zu einer "Hoffnungsökonomie. Er wies darauf hin, dass sich schon in den siebziger Jahren Technologiekritik und Befreiungspotentiale gegenüber standen. Heute reiben sich Pro Life- und Pro Choice- Bewegungen aneinander.

Anne Waldschmidt, Gründungsmitglied des "Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik", sieht in der Diskussion um diese Technologie eine der zentralen Fragen unsere Gegenwart angesprochen, die Frage danach, was wir als schützenswert, was als bekämpfenswert ansehen. Dass die PND Leid verhindern kann, ist ein zentrales Argument für diese Technik. Warum wird das Leid, ein behindertes Kind zu gebären, so hoch angesetzt, fragte Waldschmidt. Sie vermutet dahinter ökonomische Interessen. Auch die These, PND verhelfe Frauen zu größerer Autonomie, überzeugt Waldschmidt nicht. Sie sieht in der PND die Gefahr, auf eine Normalisierungsgesellschaft zuzusteuern, in der Anderssein nicht mehr toleriert wird.

Wird Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft? Erhöht sich damit der Erwartungsdruck an Frauen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen? Diese Fragen stellte sie in den Raum.

Sarah Diehl, die zweite Referentin, beschäftigt sich mit den Zugangsbeschränkungen, die in Bezug auf Abtreibung in Deutschland bestehen. Deutschland ist eins von vier Ländern in der EU, in denen Abtreibung immer noch illegal ist. Diehl kritisierte die rechtliche Lage, nach der der Embryo als Rechtssubjekt konstruiert werde und damit der Frau als gleichwertig gegenübergestellt werde. Daneben bereiten ihr die Aktivitäten selbsternannter "Lebensschützer_innen" Sorgen. Im Internet, in Schulen und in Kampagnen betrieben diese Gruppen Gegenaufklärung. Im Verlauf ihrer Studien hat Diehl festgestellt, dass Frauen so verunsichert sind, dass sie sich kaum über ihre Erfahrungen mit Abtreibung austauschen.

Lena Correll, die ihre Dissertation zum Thema Fortpflanzung geschrieben hat, hakte bei der These ein, dass Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft werde. Familienpolitik werde wieder zur Bevölkerungspolitik, wenn die demografische Entwicklung angeführt werde.

Sie stellte weiterhin fest, dass Frauen immer noch die Hauptverantwortung für die Fortpflanzung übertragen werde. Männer würden nur am Rande einbezogen, etwa mit der Regelung der Vätermonate.

In der anschließenden Diskussion tauchte ein Verständigungsproblem auf, das den gesamten Kongress durchzog. Unterschiedliche Generationen von Feministinnen sprechen anders und über andere Themen. So bemängelte eine Teilnehmerin, die Vielfalt an Themen wie Queerness, Migration und schwule Vaterschaft verdränge die klassische Frauenpolitik.

Andere fühlten sich von der Diskussion in ihrem Wunsch bestärkt, den wachsenden Normierungsdruck zu kritisieren. Eine Beteiligte beklagte das Verstummen linker Kritik an menschenfeindlicher Diskussionsführung. Es sei einfach, Sarrazins Äußerungen zur Genetik zu kritisieren. Viel notwendiger sei aber eine Kritik an aktuellen Entwicklungen in der Genforschung oder an normierenden Castingshows.


Forum 10: Verhandlungssache Familie: Wie läuft die Arbeitsteilung im Patchwork?

Gesprächsrunde mit Lisa Green (Psychologin), Robert Habeck (Autor), Karin Jurczyk (Deutsches Jugendinstitut e.V.), Ahmet Toprak (Fachhochschule Dortmund), moderiert von Sonja Eismann (Missy Magazine)


Kreativität und Prekarität: Interview mit Julia Seeliger

Julia Seeliger arbeitet bei der taz und moderierte das Forum 3 "Prekäre Verhältnisse: Selbstverwirklicht im Minijob?". Sie selber beschäftigt sich schon lange mit Frauenpolitik und der "Digitalen Bohème", einer neuen Kultur von FreiberuflerInnen.

Missy Magazine: Was sagst du zum Thema Selbstermächtigung von Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen? Funktioniert das mit der Selbstermächtigung? Wenn ja, wie? Kann man durch prekäre Arbeitsverhältnisse wirklich Freiheiten erlangen, was würdest du sagen?

Julia Seeliger: Das ist in dem Workshop so zur Sprache gekommen, wobei ich ja nicht mitdiskutiert habe, sondern nur Moderatorin war. Mir ist nicht ganz klar, wie man Prekarität so einen positiven Drive geben kann, und ich bin eher der Meinung, dass man den Blick weiterhin auf Gesetze zur rechtlichen Gleichstellung und zur Durchsetzung von Mindestlöhnen lenken muss.

Missy Magazine: Du hast jetzt schon ein bisschen über mögliche Strategien und Anknüpfungspunkte geredet. In der Diskussion ging es ja auch vermehrt um neue BündnispartnerInnen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse jenseits von Frauenbündnissen allein. Wer könnte Deiner Meinung nach BündnispartnerInnen sein? Wer sollte herangezogen werden?

Julia Seeliger: In dem Workshop wurden schon die sogenannten "neuen Männer" genannt, die auch unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation sind, und das finde ich eine sehr gute Idee. Es gibt schon seit längerem auch Initiativen, diese Männer einzubeziehen und das muss sich in der Frauenpolitik noch stärker durchsetzen. Zudem wurden noch die Gewerkschaften genannt und ich finde auch, dass die Gewerkschaften weiterhin die ersten Ansprechpartner sein sollten zum Thema Arbeit, denn es ist ihre Aufgabe ArbeitnehmerInnen zu vertreten. Die Gewerkschaften müssen sich wandeln und auf die veränderten Rahmenbedingungen von flexibler und prekärer Arbeit reagieren, um stärker für diese Leute da zu sein - auch, wenn diese Leute nicht betrieblich organisiert sind.

Seeliger im Workshop
Um nochmal darauf zurückzukommen: Die These von der Selbstermächtigung durch Prekariat fand ich auch problematisch, weil man dann weniger für gleiche und gerechte Verhältnisse kämpft. Dennoch war es für mich eine neue Erfahrung, diesen Begriff des "guten Lebens" noch als zweites Standbein einer Frauenpolitik, die Verhältnisse in der Arbeitswelt verbessern will, nicht ganz aus dem Blick zu nehmen. Das sagte ich auch eben schon mit den "neuen Männern", die nicht mehr so arbeiten wollen, wie es dem klassischen Männerrollenmodell entspricht. Ich werde jetzt den Begriff des "guten Lebens" auch stärker in meine politischen Überlegungen mit einbeziehen.

Missy Magazine: Du sprachst bei Deiner Selbstvorstellung von der sogenannten "Digital Bohème"? Was ist das und wieso bringst Du dieses Stichwort in die Diskussion ein?

Julia Seeliger: Wir hatten hier in Berlin vor einigen Jahren eine große Debatte darüber, weil es nirgendwo wie hier in Berlin soviele Leute gibt, die Kreativarbeit machen, die leider oft sehr schlecht bezahlt ist. Diese KreativarbeiterInnen sind willens, für sehr wenig Geld eine kreative Leistung zu erbringen, weil sie Angst haben, dass sonst jemand anderes die Leistung bringt. Da gibt es wirklich Fälle, in denen Leute zu Dumpingpreisen beispielsweise Mode machen, nur um sich vermeintlich selber zu verwirklichen.

Missy Magazine: Wo siehst Du die Frauen in der "Digital Bohème"?

Julia Seeliger: Im Bereich der sogenannten Digital Bohème sind die Zahlen nicht so gravierend schlecht, aber in Bereichen der typischen Frauenfelder gibt es Leute, die für wirklich wenig Geld arbeiten, z.B. Modemacherinnen. Das gleiche gilt für Grafikerinnen. Da sprechen die Zahlen eine sehr klare Sprache und es gibt sehr viele, die unter 1000 Euro Einkommen im Monat haben und gerade mal so ihre Miete bezahlen können. Das wird dann alles unter Selbstverwirklichung subsummiert und ich finde das sind keine Verhältnisse, die ich gerne haben möchte. Ich möchte natürlich lieber, dass die Leute eine Krankenversicherung und eine Rente haben.

Iris Kronenbitter von der Bundesweiten Gründerinnenagentur hat ja auch gesagt, dass man auch als Frau seinen Marktwert kennen muss. Genau wie wenn man bei der klassischen Festanstellung über seinen Marktwert verhandelt, muss man auch bei Kreativleistungen gutes Geld verlangen.

Missy Magazine: Was hälst Du bisher von der Konferenz? Wie gefällt es Dir?

Julia Seeliger: Ich bin von vorneherein mit positiven Erwartungen in die Konferenz gegangen. Wobei ich sagen muss, dass ich den gestrigen Vortrag von Susan Pinker eher verstörend fand, weil biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zur Sprache kamen und dann daraus sogar politische Forderungen abgeleitet wurden. Das fand ich sehr problematisch und das hat zum Glück auch viel Kritik vom Publikum ausgelöst. Ich finde, dass hier ziemlich viele spannende Frauen rumlaufen, jung und alt, und auch ein paar Männer, was ich sehr gut finde. Die Location finde ich ebenfalls toll und ich freue mich auf den nächsten Vortrag zum Thema Beziehungen und Social Media, denn das Thema finde ich auch persönlich sehr spannend.

Missy Magazine: Danke für das Interview!

(Svenja Schröder)

Fotostrecke - In der Pause zwischen den Foren