1919 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Keine hundert Jahre später sitze ich im gläsernen Besprechungsraum der dbb Forum in der schicken Friedrichstraße Petra Grüne und Milena Mushak, den beiden Organisatorinnen des 3. Internationalen Genderkongresses, für ein kurzes Interview gegenüber.
von Elisabeth R. Hager
Missy Magazine: Gerade ging die Eröffnungsveranstaltung des 3. Internationalen Genderkongresses über die Bühne. Mit welchen Erwartungen blicken Sie den nächsten zwei Tagen entgegen?
Grüne: Wir haben den Kongress ja schon mit einer sehr kontroversen Debatte begonnen und hoffen, dass auch weiterhin sehr viel diskutiert wird.
Mushak: Ich bin vor allem deshalb gespannt, weil die Zusammensetzung der Teilnehmer_innen bei diesem Kongress äußerst unterschiedlich ist. Es gibt teilweise das einschlägige Publikum, aber nicht durchgehend.
Missy Magazine: Wie sieht das einschlägige Publikum denn aus?
Grüne: Das sind klassischer Weise 68er-Frauen. Diesmal sind aber auch viele Leute von NGOs da, viele Leute von Banken. Also von der Berliner Landesbank haben sich 17 Leute kollektiv angemeldet und Leute von Handwerkskammern, von Versicherungen, eben nicht das übliche, rein akademische Publikum, das normalerweise auf solche Kongresse geht. Ich finde das wirklich klasse, kann mir das aber gerade selbst nicht wirklich erklären.
Missy Magazine: Das Programm ist extrem breit gefächert. Die angeschnittenen Themen reichen von Selbstwert und Anerkennung im Kapitalismus über Migration, Reproduktion bis hin zu Sexarbeit. Stellen Sie sich den Kongress als Bestandsaufnahme der aktuell geführten Gender-Debatten vor oder gibt es eine konkrete Leitfrage?
Mushak: Also ich hatte keine. Ich weiß nicht, ob du eine hattest?
Grüne: Das hat natürlich alles eine Vorgeschichte. Ursprünglich hatten wir 1999 den ersten, großen Genderkongress gemacht, der damals das Schlagwort Geschlechterdemokratie hatte. Das ist 1999 zum Grundgesetzjubiläum umgesetzt worden. Dann hatten wir 2002 einen, da ging‘s um Gender Mainstreaming und nun, zum Grundgesetzjubiläum wollten wir wieder einen machen. Diesmal wollten wir einen Genderkongress machen, der nicht nur die alten Recken aktiviert, sondern auch jüngere Frauen und Leute aus anderen Bereichen. Wie wollten also einen neuen Ansatz haben und haben viel diskutiert. Na und dann dachten wir uns: In der Postmoderne - anything goes. Man kann sein Geschlecht im Grunde frei wählen, man kann zwischen Geschlechtern switchen, auch wenn es schwierig ist, ist es doch prinzipiell möglich. Aber trotzdem sind die Leute nicht glücklich, und woher kommt das? Da war dann die Suche nach einem bestimmenden Faktor und dieser Faktor ist im Grunde genommen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und, dass es auch ein wirtschaftliches Interesse dabei gibt. Und das war dann die rote Linie.
Missy Magazine: Wenn man sich hier auf dem Kongress umschaut, sieht man eine überdurchschnittlich hohe Zahl biologischer Frauen. An welche Menschen adressieren Sie diesen Kongress?
Mushak: Ja, das stimmt. Das fällt mir auch auf.
Grüne: Ich finde es ein bisschen traurig, aber das ist auch ein normaler Satz auf solchen Kongressen. Früher haben wir bei der Planung des Kongresses darauf geachtet. Das haben wir diesmal nicht gemacht. Am Schnitt von 10% Männern hat das aber nichts geändert. Das Thema aber wird momentan an allen möglichen Stellen diskutiert, wo es früher nicht besprochen wurde. Ich denke da z. B. an die Wochenendbeilage der SZ vor ein paar Wochen oder den Artikel im Focus.
Missy Magazine: Für welche Panels haben sich denn die meisten Leute angemeldet?
Grüne: Das ist das Forum 1, Gender, Macht und Gläserne Decken: Ernüchterung in der "Frauenpolitik"?. Die Veranstaltung findet im großen Saal statt. Aber das unterscheidet sich nicht besonders in der Zahl. Die Veranstaltungen sind alle voll.