von Claire Horst
Auf dem Genderkongress hat sie am Forum 6 "Neue Räume - alte Grenzen? Gender in der Migrationsgesellschaft" teilgenommen.
Tülin Duman: Die Organisation existiert seit über zehn Jahren, seit 2003 als Verein, und ist die einzige derartige Selbstorganisation in Deutschland, die von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet wurde. Wir arbeiten zu verschiedenen Themen, doch der Schwerpunkt liegt auf Homophobie, Transphobie und Sexismus. Aufgrund der gesellschaftlichen Situation ist das Thema Rassismus inzwischen in den Vordergrund getreten, beziehungsweise die Zusammenhänge verschiedener Diskriminierungsformen. Wir verfolgen dabei einen horizontalen Antidiskriminierungsansatz, eine Hierarchisierung der einzelnen Formen von Diskriminierung lehnen wir ab.
Missy Magazine: Seit wann spielt Rassismus eine so große Rolle für eure Arbeit? Spielst du auf die Sarrazindebatte an?
Tülin Duman: Im Grunde hat schon die Entstehungsgeschichte von Gladt e.V. viel damit zu tun. Einzelpersonen waren in bestimmten Gruppierungen aktiv und haben dort Ausgrenzung erfahren. Sie wurden für bestimmte Zwecke instrumentalisiert, als Alibi-Personen irgendwo hingeschleppt, mit Äußerungen wie "Bei denen alles ganz ganz schlimm" konfrontiert. In den letzten Jahren haben wir das aber verstärkt erlebt, weil wir uns vermehrt mit konkreten Projekten beschäftigt haben.
Missy Magazine: Warum habt ihr euch überhaupt als migrantische Gruppe gegründet? Sind diese Ausgrenzungen der Auslöser gewesen?
Tülin Duman: Anfangs war es ein Treffpunkt für überwiegend türkeistämmige Schwule, Lesben und Transpersonen, aber es sind immer mehr Backgrounds dazugekommen, weil es einfach nichts Vergleichbares gab. Leute, die keine hundertprozentigen Herkunftsdeutschen sind, haben sich angeschlossen. Wichtig war immer der Ansatz der Intersektionalität. In der Theorie, in akademischen Kreisen, ist das schon lange ein Thema, und es ist wunderbar, wenn man das im Alltag erlebt, wenn es Gesichter dazu gibt.
Missy Magazine: Welche Strategien verwendet ihr denn, um gegen diese vielfältigen Formen der Diskriminierung anzugehen?
Tülin Duman: Zum Beispiel, wenn wir in Workshops an dem Thema Homophobie und Transphobie arbeiten, und wenn wir von der Zielgruppe wissen, dass sie eigene Diskriminierungserfahrung haben, dann knüpfen wir da an. Das ganze Thema muss im Kontext betrachtet werden.
Diese klassische Identitätspolitik: "Ich bin schwul und das ist gut so" muss eingebettet werden. Homosexualität wird den Leuten immer isoliert vorgestellt, und wir haben gemerkt, so ist das nicht richtig. Mehrfachzugehörigkeit muss thematisiert werden. Das ist unser Ansatz, mit verschiedenen Zielgruppen.
Missy Magazine: Im Forum wurde gesagt, dass verschiedene Minderheitengruppen immer wieder gegeneinander ausgespielt werden, etwa Migrant_innen und sexuelle Minderheiten. Welche Interessen stecken dahinter?
Tülin Duman: Vor allem in Teilen der Schwulenbewegung wurde dieser einfache Weg gewählt. Ob das bewusst gemacht wurde, kann ich nicht beurteilen, ich bin ja nicht Teil der Schwulenbewegung. Das hatte den Effekt, dass nicht geschaut wurde, mit wem man welche Bündnisse eingeht, ob etwa jemand sagt: "Ich mag Schwule, aber ich mag keine Muslime". Wir haben immer gesagt, dass das nicht geht, und davor warnen wir immer noch – man kann nicht nur für bestimmte Rechte stehen, vor allem in der Politik. "Homosexuellenrechte sind wichtig, aber Rechte aufgrund ethnischer Herkunft sind egal" - diese Widersprüche sprechen wir immer wieder an. Und das ist keine Frage der Subkultur. Wer mit der CDU für queere Rechte kämpfen will, kann das gern versuchen, aber es ist nicht meine Sache.
Missy Magazine: Meistens wird für diese Bündnisse ja damit argumentiert, dass das Thema damit zumindest in der Öffentlichkeit auftaucht. Ist es nicht auch positiv, wenn die CDU Diskriminierung sexueller Minderheiten in ihre Agenda aufnimmt?
Tülin Duman: Die Frage ist immer: In welcher Form, in welchem Format spricht da wer über wen? Dahinter steht eine Doppelmoral. Wenn die CDU plötzlich die Unterdrückung von Frauen oder Schwulen in muslimischen Gemeinschaften kritisiert und ich diese Doppelmoral aufzeige, werde ich immer gefragt: "Warum kannst du nicht die eigene Seite kritisieren?" Was soll das sein, meine Seite? Wir können uns nur auf Sachen beziehen, die wir für wichtig halten, die wir als Problem definieren, nicht, weil es gerade eine Debatte gibt.
Missy Magazine: Haben dies Reaktionen etwas mit einem Selbstbild der Deutschen zu tun – etwa, dass Deutschsein immer noch Weißsein bedeutet?
Tülin Duman: Das könnte sein. Außerdem findet in der Öffentlichkeit eine Diskussion über Mehrfachdiskriminierung überhaupt nicht statt. Dabei bin ich da nicht die Ausnahme, ich bin die Mehrheit.
Missy Magazine: Hast du das Gefühl, das sich da etwas verändert? Eben kam von einer älteren Feministin aus dem Forum die Bemerkung, alle Frauen seien universal mit den gleichen Unterdrückungsmechanismen konfrontiert – ihr wurde schnell widersprochen. Kannst du ein Umdenken feststellen?
Tülin Duman: Es wird besser, indem sich mehr Eigeninitiativen bilden, die über sich selber sprechen, wenn etwa muslimische Frauen mit feministischem Hintergrund Bündnisse bilden und die eigene Sache vertreten. Das wird dann aber immer wieder in Frage gestellt, weil es nicht ins Bild passt. Dieses Sprechen über andere verändert sich nur sehr langsam. Ein Beispiel ist die Publikation "Muslime unter dem Regenbogen", die der LSVD herausgegeben hat. Wie kann man über etwas schreiben, wozu man keinen Bezug hat und worüber man nichts weiß? In der Forschung wäre das etwas anderes, aber in der Politik geht das nicht.
Missy Magazine: Ich wiederhole noch einmal eine plakative Frage, die im Forum gestellt wurde und die du sicher oft hörst: Warum ist es schlecht, wenn patriarchale Strukturen in bestimmten Gruppierungen kritisiert werden?
Tülin Duman: Es ist gar nicht schlecht. Ich frage mich aber, wie diese Gruppen eigentlich konstruiert werden. Wenn ich nur aufgrund meines Aussehens in eine Gruppe gesteckt werde, in die ich gar nicht gehöre, stimmt etwas nicht. Und dann wird gesagt "Du bist nicht gemeint, du bist eine Ausnahme." Es gibt aber so viele Ausnahmen, wer ist denn dann gemeint? Daher finde ich das problematisch.
Ich rede gern mit bei der Diskussion darüber, dass Religionen eine Rolle spielen für das Verständnis von Frau und Mann, für die Akzeptanz von Homosexualität, egal ob über Christentum, Islam oder Judentum. Aber das ist nicht mein Thema. Diese Frage finde ich überbewertet, und das ist ein zu einfaches Erklärungsmuster: "Weil die religiös sind, sind die so oder so." Das glaube ich nicht, und meine persönlichen Erfahrungen sind anders. Selbstverständlich stehen die Leute unter diesem Einfluss. Aber sie stehen genauso unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Debatte und der Medien, egal ob sie einen russischen Hintergrund haben, einen deutschen oder einen türkischen. Das wird immer ausgeblendet: Was kommt im Fernsehen, welche Bilder werden da vermittelt, was für ein Bild hat die deutsche Öffentlichkeit vom Schwulsein? Da werden Stereotypen verbreitet, ein bestimmter Phänotyp vertritt alle Schwulen, und die muslimische Frau trägt immer Kopftuch.
Missy Magazine: Wie siehst du die politische Lage? Wo gibt es schon Verbesserungen, wo müsste sich noch etwas ändern? Spielen Entwicklungen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz überhaupt eine Rolle?
Tülin Duman: Doch, natürlich hat z.B. das AGG eine Wirkung. Deutschland tut sich allerdings sehr schwer damit, Antidiskriminierungsrichtlinien einzuführen – neben Tschechien war es Deutschland, das sich in Europa quergestellt hat, Antirassismusrichtlinien einzuführen. Klar gibt es auf allen Ebenen Verbesserungen, es gibt das Lebenspartnerschaftsgesetz, aber das ist natürlich nicht vollständig. Das Adoptionsrecht zum Beispiel wird so bald nicht kommen.
Ich finde, vor allem müsste der gesamte Antidiskriminierungsansatz verbessert werden, nicht nur als Identitätspolitik bestimmter Gruppierungen. Wir als Organisation müssen auf allen Ebenen Forderungen stellen. Das Ausländerrecht etwa hat direkten Einfluss auf unser Leben und auf unsere Beratungspraxis. Sexuelle Verfolgung ist immer noch kein Asylgrund, auch wenn im Iran die Todesstrafe darauf steht. Das Thema Rassismus findet immer noch nicht genug Platz, zum Beispiel in der Schule. Mit Rassismus wird nur der Rechtsextremismus bezeichnet.