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Freitag, 29. Oktober 2010

Interview: Auf der Schwelle balancieren

Nach dem Forum 8: "Ich bin Porno! – die neue sexuelle Revolution" unterhielt sich Sabine Rohlf mit Antke Engel vom Institut für Queer Theory

Missy Magazine: Du hast in der Diskussion gesagt, dass sich Bilder dissidenter Sexualität und geschlechtlicher Ambiguität nicht nur in subkulturellen Kontexten, sondern auch in kommerzieller Werbung und Mainstream-Medien finden. Was für Bilder sind das?

Engel: Neben sexualisierten Bildern, die traditionelle Geschlechterstereotype und heterosexuelle Paar- und Familienklischees verstärken, gibt es ja durchaus Bilder im öffentlichen Raum, die nichtnormgerechte Sexualitäten und Geschlechterambiguität darstellen, Bilder, die nicht in der Alternative maskulin oder feminin hängen bleiben oder homo als Variante von hetero präsentieren. Bei der Darstellung von Lesben und Schwulen in der Werbung ist es z.B. eine interessante Frage, inwiefern diese Bilder einfach der Bestätigung einer heterosexuellen Norm dienen, die ihre Toleranz im Umgang mit „dem Anderen“ feiert, oder ein geschicktes Nischenmarketing betreibt, um alle möglichen und unmöglichen Konsumwünsche optimal auszunutzen.

Missy Magazine: Und was meinst Du?

Engel: Ich glaube, die Sache ist komplizierter: Interessant an diesen Bildern ist, wie sie mit einem neoliberalen Diskurs verbunden sind, der Differenz als ein kulturelles Kapital stark machen möchte. Diesem Diskurs zufolge sollen die Einzelnen aktiviert werden, ihre Besonderheit ökonomisch einzubringen und nutzbar zu machen, d.h. sie der Verwertungslogik zu unterziehen, statt zu denken, dass Differenz ein Nachteil ist. Im Rahmen des Neoliberalisierungsdiskurses werden Menschen dazu aufgefordert, sich selber als different zu präsentieren. Ich glaube, und das ist wichtig, dass dabei die Geschichte der Differenz als Stigma nicht verloren ist. Vielmehr ist es genau diese prekäre Doppeldeutigkeit, die die Einzelnen aktiviert, individuelle Lösungen zu suchen. In diesem Sinne sollen Bilder nicht-normgerechter Sexualität (oder auch Darstellungen geschlechtlicher, körperlicher oder ethnisierter Differenz) zeigen, dass sich Differenz erfolgreich als „Alleinstellungsmerkmal“ präsentieren lässt und welche geschickt auf der Schwelle zwischen Differenz als kulturellem Kapital und Differenz als Stigma balancieren.

Missy Magazine: Macht sie das besonders interessant?

Engel: Die Wirkungsmacht dieser Bilder liegt zum Teil darin, dass sie für das Managen oder die Handhabbarkeit einer Prekarität einstehen, die mittlerweile für alle relevant geworden ist. Es gibt keine „Normalarbeitsverhältnisse“ oder “Normalsubjektivitäten“ mehr. In diesem Sinne sind die Darstellungen aber auch nicht einfach simple Vorbilder im Sinne von ‚das ist das Differenzideal, das Du Dir aneignen sollst!’, sondern stehen für eine neoliberale Aktivierung: Du als Adressantin sollst Dich aufgefordert fühlen, auf dieser prekären Schwelle eine virtuose Selbstpraxis oder Selbsttechnologie zu entwickeln. Individuelle Praxis als erfolgreiches Risikomanagement, sozusagen.

Missy Magazine: Das klingt ja ein bisschen zynisch.

Engel: Jain. Es lässt sich auch politisch vielversprechender formulieren. Die Bilder, die wir zu sehen kriegen, halten diese Schwelle sichtbar, ja inszenieren diesen prekären Umkipppunkt zwischen Differenz als Versprechen und Differenz als Bedrohung. Sie bestätigen einen neoliberalen Diskurs, wenn sie diese Schwelle als handhabbar darstellen, wenn sie ein virtuoses Management der eigenen Differenz „verkaufen“. Sie können ihn aber auch zurückweisen, wenn die Prekarität dieser Schwelle als politisches Problem sichtbar wird.

Missy Magazine: Ich frage mich, ob sich dieses Managen einer prekären Position nicht auch auf Internet-Selbstdarstellungen von Mädchen oder Frauen beziehen lässt. Ich denke an Bilder, mit denen sie sich selbst sexualisieren bzw. ihre Körper den Bewertungen von Communities aussetzen. Das ist ja auch eine prekäre Situation.

Engel: Das ist ein interessanter Gedanke. Ich versuche mal, ihn weiter zu denken, indem ich eine Verbindung zu Judith Butlers Begehrenstheorie herstelle. Butler schreibt in Undoing Gender, dass im Begehren eine inhärente und eigentlich unaufhebbare Spannung zwischen Selbstbehauptung und Verbundenheit verhandelt wird, und zwar sowohl innerhalb des Selbst als auch in intimen Praxen mit anderen. Diese „Verhandlungen“ brauchen Bilder, Phantasiebilder vom Selbst, vom Anderen und implizit auch immer vom „Anderen der/s Anderen“ oder vom „Anderen des Selbst“. Dadurch wird Begehren zu einem komplexen Geschehen, in dem soziale Interaktion, Vorstellungsbilder und Wünsche nicht einfach voneinander zu unterscheiden sind und alle Beteiligten damit befasst sind, der unaufhebbaren Spannung Formen zu verleihen. Demnach ließe sich vielleicht sagen, Bilder, die in Online-Communities zirkulieren, inszenieren diese paradoxe Gleichzeitigkeit von Autonomie und Verbundenheit – und bieten den Betrachter/innen Bilder, sich mit ihr auseinanderzusetzen, und sei es, indem sie eine Projektionsfläche für ihre Phantasien oder eine Materialisierung der Bilder von der „Andersheit der/s Anderen“ finden.

Missy Magazine: Auf dem Forum wurden die Risiken dieser Praxis diskutiert, was meinst Du dazu?

Engel: Eine mögliche Gewaltförmigkeit setzt da ein, wo das Spannungsverhältnis zur einen oder anderen Seite kippt, wo also jemand ausschließlich auf die Rolle der Autonomie festgelegt wird, die keinen Zugang zur Verbundenheit hat, oder ausschließlich auf die Rolle des Einstehen für die Verbundenheit, dem die Autonomie verweigert wird. Das ist etwas, was klassischerweise als Geschlechterkomplementarität codiert gewesen ist. Ich weiß nicht, ob das jemals so gelebt worden ist, aber das war jedenfalls die Anforderung. Ich glaube, dass die Bilder, von denen Du sprichst, durchaus als welche gelesen werden können, die versuchen, die Spannung aufrechtzuerhalten und auf der Schwelle zu balancieren, wenn welche sagen ‚ich stelle diese Bilder online’ und ‚ich entscheide mich dafür und ich entscheide mich auch dafür, dass ich damit Geld verdiene oder Anerkennung oder was auch immer’. Es ist ein Zur-Schau-Stellen des Risikomanagements, das ökonomisch gefragt ist: Die Fähigkeit, auf dieser Schwelle zu balancieren.

(Sabine Rohlf)