Hoch her ging es zeitweise auf dem Forum 5 „Brain Drain? Jungs und Mädchen im Bildungswettlauf“, es wurde ziemlich viel gelacht – und auch gestritten. Das lag zu großen Teilen daran, dass hier Natur- und GeisteswissenschaftlerInnen aufeinander trafen: Während Manfred Spitzer von der Universität Ulm mit einem Schnell-Überblick über den Diskussionsstand der Hirnforschung startete und seine Ausführungen u.a. mit Beispielen aus der Primatenforschung spickte, versorgten die Soziologinnen Heike Kahlert und Sigrid Metz-Göckel das Publikum mit Einschätzungen über konkrete Probleme im Bildungssystem. Sie wiesen darauf hin, dass Schule und Unis nach wie vor von einem hierarchischen Geschlechtermodell geprägt seinen. Und dass spätestens beim Übergang zum Beruf die alten Hierarchien greifen. Da sei es mit dem weiblichen Vorsprung sowieso zumeist vorbei. Der Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril fragte, ob der „Wettlauf“ in der Forum-Überschrift nicht eine problematische Logik reproduziert. Er betonte die Bedeutung kulturtheoretischer und hermeneutischer Reflektion in Bezug auf das Thema Gender und Bildung. Er reagierte damit auf einige Formulierungen Spitzers und auf die Anmoderation des Forums durch Jürgen Kaube von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der hatte gesagt, der Bildungswettlauf der Mädchen und Jungen sei keine philosophische Debatte.
Die Diskussion hatte also unterschiedliche „Baustellen“, wie Heike Kahlert es ausdrückte. Es gab auch Gerangel um die Deutungshoheit zwischen Natur-, Gesellschafts- und GeisteswissenschaftlerInnen: Wie interpretiert man die Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur (die auch Spitzer einräumt), wie spricht man sinnvoll über die Unterschiede zwischen Menschen, z.B. über den Unterschied Mädchen - Junge?
Stimmt es überhaupt, dass die Mädchen an den Schulen gerade dabei sind, die Jungs abzuhängen? Oder sind sie nicht viel eher gerade dabei, so etwas wie einen Gleichstand herzustellen, was schon reicht, um für Aufregung, ja womöglich Panik zu sorgen. Denn es kann keine Rede davon sein, so Sigrid Metz-Göckel, dass die Mädchen uneinholbar davonziehen, oder dass gerade was komplett Überraschendes passiere. Zur medialen Aufregung über Jungs als Schulverlierer kommentierte sie : „Viel Lärm um nichts.“
Schnell wurde klar, und da waren sich eigentlich alle einig, dass es nicht ausreicht, eine Differenz allein zu betrachten. Nicht nur Geschlecht beeinflusse den Bildungserfolg, sondern auch Fragen der sozialen Schicht oder Ethnie. Beides laufe oft unbewusst, so würden zum Beispiel Philipp und Faruk unterschiedlich beurteilt oder eben auch Paula oder Max. Kompliziert wird es, sobald sich verschiedene Kategorien überkreuzen.
Aus dem Publikum kamen spannende Fragen. Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagoginnen berichteten aus ihrem Alltag und es klang oft ziemlich wütend. So würde zu oft auf Quantität statt Qualität gesetzt. Mehr männliche Lehrer, so eine genervte Lehrerin, würden weder verunsicherten Jungs noch ehrgeizigen Mädchen was nützen, Geschlecht allein habe noch kein Problem gelöst. Viel wichtiger sei es, meinte sie, wie diese LehrerInnen den Unterricht gestalten und welche Inhalte sie vermitteln. Dafür gab es lauten Applaus.
Leider scheint an vielen Schulen eine Gender-Debatte noch nicht angekommen zu sein. Wenn aber LehrerInnen oder womöglich die SchülerInnen selbst glauben, dass Mädchen kein Mathe können und Jungs immer den Unterricht stören, dann werden sie diese Stereotype unbewusst reproduzieren. Und stereotype Bilder werden spätestens dann zum Problem, wenn bei Studienfächern Männerquoten eingeführt werden, weil die „Feminisierung“ eines Faches (bzw. zu viele Studentinnen in demselben) in unserer Gesellschaft nach wie vor mit Abwertung assoziiert wird.
Eine bessere LehrerInnenausbildung, eine bessere Ausstattung der Schulen und vor allem mehr Aufmerksamkeit für Differenzen, ist, was wir brauchen. Da war sich das Podium – bei allen Unterschieden der Sichtweisen ziemlich einig. Den unterschiedlichen Schulerfolgen von Jungen und Mädchen sollte man nicht mit unreflektiertem Fördern begegnen, sondern mit einer großen Aufmerksamkeit für die jeweiligen, von diversen sozialen Faktoren geprägten Situationen der Kinder.