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Samstag, 30. Oktober 2010
Key Lecture mit Miriam Meckel
Miriam Meckel von der Universität St. Gallen hält die Key Lecture am Samstag, den 30.10.2010. Das Video zeigt kurze Ausschnitte aus ihrer Rede und aus der anschließenden Diskussion.
Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung"
Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung" am Abschlusstag der Konferenz wurde von vielen mit Spannung erwartet. Ihrem Vortrag zufolge gibt es drei zentrale Aspekte, die eine große Rolle bei der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: Erstens gibt es zu wenig Frauen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen innehaben. Zweitens fehlt es an weiblichen Role Models, die den Weg für jüngere Frauen weisen. Daran schließt sich Meckels dritte These an, dass es schwer ist, Frauen für aktive gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen, da viele unter einem geringen Selbstbewusstsein leiden.
Denn viele Frauen stünden sich auf dem Weg an die Spitze selbst im Weg. Sie forderten nicht das ein, was ihren männlichen Kollegen ganz selbstverständlich zustünde, beispielsweise gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies löse in den Frauen Stress aus, was bisweilen sogar bis zum emotionalen Zusammenbruch führen könne. In diesem Punkt spricht Frau Meckel aus Erfahrung, denn sie selbst hatte 2008 einen Burnout. Ihre Erfahrungen mit dem Burnout-Syndrom veröffentlichte sie dieses Jahr in dem Buch "Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout". Dass sie im Laufe ihrer steilen Karriere oft die einzige Frau unter Männern gewesen sei, habe rückblickend betrachtet bei ihrem Zusammenbruch eine Rolle gespielt. Die einzige Frau zu sein sei zwar ein Alleinstellungsmerkmal, aber auch ein Zeichen der immer noch fortwährenden massiven Missständen.
Frauen müssen mutiger werden, so Meckel, sie müssen "nein" sagen und Forderungen stellen. Da dies gemeinsam besser ginge als alleine, müssen Frauen außerdem Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meckel forderte einen zeitgemäßen Genderdiskurs, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und mehr Frauen als Role Models zu gewinnen. Als Instrument zur Durchsetzung dieser Forderungen verwies sie auf gesetzliche Grundlagen, allen voran die Frauenquote. In Norwegen funktioniere dies sehr gut, dort seien heute bereits 40 Prozent der Führungsräte mit Frauen besetzt.
Nach dem Vortrag sprach die Journalistin Ferdos Forudastan, die die anschließende Diskussion moderierte, Frau Meckels Forderung nach einer Frauenquote an. Frau Meckel meinte, dass sie früher vehement gegen die Quote argument hätte. Heute würde sie aber sagen, dass es nicht anders ginge, um die gravierenden Missstände zu beseitigen. Deutschland sei ein Land der ängstlichen BewahrerInnen. Nicht umsonst gäbe es für das Wort "Rabenmutter” (verwendet für Mütter, die gleichzeitig arbeiten gehen) in keiner anderen Sprache eine Entsprechung. Auf die Frage von Forudastan, wie man den Diskurs umdrehen könne, antwortete Meckel, dass die bestehenden Strukuren aufgebrochen werden müssen.
In der sich anschließenden Diskussion wurde Frau Meckels Position für mehr Frauen in Führungspositionen mehrfach kritisiert. Frauen in Führungspositionen würden sich nicht zwangsläufig für mehr fortschrittliche Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, so eine Teilnehmerin. Dies würde an der Frauenquote der CSU oder der der Republikaner in den USA deutlich. Auch sollte der Fokus darauf gelegt werden, dass es bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur um die Führungspositionen gehen dürfe. Nur für mehr Frauen in Führungspositionen zu plädieren wäre eine zu kurze Sichtweise, da so der Fokus nur auf schon gut verdienende, bereits angestellte Frauen gerichtet würde. Frau Meckel entgegnete darauf, dass dies nur die Perspekte sei, die sie herausgegriffen habe, und dass die anderen Sichtweisen natürlich nicht vernachlässigt werden dürften.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es vielleicht ein guter Ansatz ist, vermehrt Frauen in Führungspositionen zu bringen, um so nachhaltig Unternehmenskultur zu ändern und mehr weiblichen Role Models den Weg zu ebnen, trotzdem darf nicht vernachlässigt werden, dass dies nicht der einzige Kampf ist, der geführt werden muss. Besonders auf den Schnittstellen von Sexismus, Klassismus und Rassismus (und natürlich anderen Ismen) wird sich so für die Mehrzahl aller Frauen nichts ändern.
Zweisame Demokratie? Interview mit Ins A Kromminga
Von Sonja Erkens
Missy Magazine: Liebe...r, äh...ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Dich ansprechen oder über Dich schreiben soll... Welche Pronomen sind Dir denn am liebsten, Du bezeichnest Dich ja als „eindeutig zwischengeschlechtlich“...
Kromminga: Schriftlich gibt es ja mittlerweile den Unterstrich, also die gap-Schreibweise; im Panel haben wir versucht, das auch so zu sprechen, also beispielsweise „Sprecher_innen“ zu sagen. Bei Pronomen benutze ich meistens Doppelungen, also „der_die Sprecher_in“ – wichtig ist mir dabei, immer auf den Unterstrich hinzuweisen, der einen Raum zwischen den Geschlechtern anzeigt.
Missy Magazine: Und wie funktioniert das in der Praxis, also auf welche Resonanz stößt Du damit? Wir haben ja im Forum gehört, dass das gesellschaftliche Bewusstsein um Menschen jenseits des polaren Geschlechterkonzeptes eher gering ist.
Kromminga: Ja, die meisten Menschen akzeptieren das zwar und bemühen sich, mich nicht als Frau oder Mann anzusprechen – dass es ihnen trotzdem nicht leicht fällt, mich auch tatsächlich nicht als Frau oder Mann, sondern als etwas dazwischen zu sehen, zeigt sich dann aber doch meistens darin, dass sie sich verhaspeln oder in einer Situation „er“ und wenige Momente später „sie“ sagen. (lacht) Über diese Verwirrung freue ich mich aber eigentlich eher.
Missy Magazine: Auch innerhalb feministischer Diskurse geht es ja häufig sehr identitätspolitisch zu, also besteht der Anspruch, ganz generell „Fraueninteressen“ zu diskutieren oder zu vertreten. In welcher Rolle siehst Du Dich, die_der Du ja keine Frau bist, auf diesem Kongress?
Kromminga: Also ich finde es erstmal super, dass wir hier einen Raum haben, um darauf hinzuweisen, dass die Idee von queer eben weiter geht und gehen muss, als vielleicht die feministische, die sich meistens nur auf die Gruppe der „Frauen“ bezieht. Identitätspolitik finde ich aber völlig okay, wir arbeiten ja auch identitätspolitisch und sagen von uns, dass wir inter*, trans* beziehungsweise queer sind. Mir ist dabei wichtig, dass diese inter*, trans* und sonstige queer-Identitäten, die wir uns ja auch erst erarbeiten mussten, einen gleichberechtigten Status bekommen wie „männlich und weiblich“ – denn eine generelle Kritik der Heteronormativität ist für alle Menschen sinnvoll!
Missy Magazine: Liegt da nicht noch ein ziemlich langer Weg vor Euch? „Feministinnen“ wie Susan Pinker, die hier auch einen Vortrag gehalten hat, vertreten ja nach wie vor die Ansicht, Geschlecht sei biologisch bestimmbar, was sich an verschiedenen Gehirnschemata von Mädchen und Jungen beweisen ließe...
Kromminga: Bei solchen biologistischen Erklärungen reagiere ich erstmal allergisch (lacht): Wieso soll ich mir von Naturwissenschaftler_innen erklären lassen, wer oder was ich bin?! Aber das wurde ja auch im Panel thematisiert, dass die Biologie Menschen kategorisiert und für krank erklärt und eben nicht danach fragt, wie sich diese Menschen selbst sehen oder als was sie sich empfinden. Für meine Begriffe hat aber die Kultur einen viel größeren Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, was uns als Menschen ausmacht.
Missy Magazine: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Missy-Team bei der Arbeit
Svenja Schröder, Social Media Nerd_in |
Claire Horst, prekäre Agent_in |
Vera Hofmann, Scheinwerfer_in |
Sonja Erkens, Bodenpersonal_in |
Margarita Tsomou, Redaktionspräsident_in |
Juli Reineke, Videofüchs_in |
Forum 9: Zweisame Demokratie? Gegenwart, Widerstand und Perspektiven
Von Sonja Erkens
„All Genders welcome!“ hieß es ermutigend in der Kongressankündigung und höchst wahrscheinlich wurde diese Aufforderung am konsequentesten in Forum neun erfüllt: Erfahrungen mit den Grenzen und Ausschlüssen von Zweigeschlechtlichkeit gab es dort quasi aus erster Hand, also von Menschen, die sich als Trans* oder Inter* begreifen. „Wir sagen Trans oder Inter und denken uns das Sternchen dahinter dazu“, erläuterte Adrian da Silva von der Berliner Humboldt-Universität. „Das bietet die Möglichkeit, sowohl beispielsweise Intersexuelle wie auch Intergender-Identifizierte anzusprechen.“
Als erster Stolperstein beim Sprechen über und vor allem mit Menschen, die sich keinem der üblicherweise zwei angebotenen Geschlechter zugehörig fühlen, entpuppte sich nämlich – ganz banal – die Sprache selbst: Wo Worte fehlen, fehlt letztlich auch das Bewusstsein um die Existenz dessen, was benannt werden müsste.
Dass die Medizin sehr wohl über ein Repertoire an Begriffen verfügt, mit denen sie Menschen mit beispielsweise sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen beschreibt, erläuterte Ulrike Klöppel von der Charité Berlin – allerdings dienten diese Begriffe immer der Pathologisierung, also dazu, etwa intersexuelle Menschen als „krank“ zu definieren - weil sie als Ausnahme von der Regel begriffen werden. Gegen diese Annahme, also dass die häufig auch „Hermaphroditen“ genannten Menschen durch hormonelle „Therapien“ oder gar operative „Geschlechtsangleichung“ „geheilt“ werden müssten, setzt sich die_der Künstler_in und Aktivist_in (Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen) Ins A Kromminga seit Jahren ein: „Inter* ist keine Krankheit, sondern eine Form des Menschseins!“, sagt Kromminga, die_der sich selbst als „eindeutig zwischengeschlechtlich“ bezeichnet.
In der bisweilen traurigen Realität ist diese Sichtweise jedoch eher eine randständige. Konstanze Plett, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Bremen wies auf das Transsexuellengesetz hin, das eine Geschlechtsumwandlung nur dann als rechtskräftig erklärt, wenn sich die betreffende Person sterilisieren lässt, sodass beispielsweise eine ehemals biologische Frau, die nun als Mann lebt, nicht schwanger werden kann: „Diese Gesetzgebung ist skandalös und verstößt gegen die Menschenrechte!“
Auch Arn Thorben Sauer vom Verein TransInterQueer präsentierte eher deprimierende Zahlen hinsichtlich der Diskriminierung von Trans*-Menschen: Ein überwiegender Teil derer, die im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht wechseln, hat bei Vorstellungsgesprächen schlechte Karten, verdient miserabel und leidet zu allem Übel noch häufig an Depressionen.
Nur was tun, um die vermeintlich natürliche Zweigeschlechtlichkeit, die uns nur in wenigen Lebensbereichen nicht begegnet, ein bisschen aufzulösen? Bei aller Bescheidenheit schlägt Uta Schirmer, Dozentin an der Wiesbadener Hochschule RheinMain, die eine oder andere Drag-Kinging(oder –queening)-Session vor: ein bisschen angeklebtes Gesichtshaar sei manchmal schon genug, um zu verdeutlichen, dass die Grenzen zwischen „weiblich“ und „männlich“ fließend sind – und ein bisschen Verwirrung der eigenen Umwelt kann ja bekanntermaßen nie schaden.
Was sagen die TeilnehmerInnen? Kommentare zum Kongress
"Die Workshops heben sich ganz deutlich ab von der Key Lecture ab. Was ich für mich als Gleichstellungsbeauftragte sehr schwierig finde, ist, das hohe Niveau des fachlichen Inputs in meine Arbeit zu übertragen. Mir fehlen die Transferwege von den soziologischen Theorien in meinen Arbeitsalltag. Ich war in zwei ganz tollen Foren, einmal Forum 10 'Verhandlungssache Familie', auch wenn Angela McRobbie leider nicht da war, und dann das Forum 8 'Ich bin Porno', in dem die gesellschaftskritische und pragmatische Seite gut dargestellt wurde." (Kerstin Schoneboom, Fachhochschule Kiel)
Symbolische Selbstverleugnung
Die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit sollte ein besseres Leben ermöglichen. Aber wurde dieses Ziel auch erreicht? Neben den Erfolgsbilanzen fällt eine andere Entwicklung ins Auge: Frauen sind weniger zufrieden und leiden besonders unter Depressionen und Burn-Out. Aber war Glück je der passende Parameter? Und wer oder was bestimmt ein gutes Leben?
Key Lecture von Prof. Dr. Miriam Meckel, Universität Sankt Gallen
Forum 8: Ich bin Porno! – Die neue sexuelle Revolution?
Johannes Gernert bei seinem Input-Vortrag |
Linda Hentschel und Antke Engel |
Antke Engel bei ihrem Vortrag |
Zahlreiche Wortmeldungen |
Nana Adusei-Poku und Johannes Gernert |
Linda Hentschel |
Das Publikum diskutiert rege mit |
Im Schnelldurchlauf
Paralell fanden am Freitag Vormittag sechs Foren und am Nachmittag fünf Foren statt. Das Video "Fast Forward" gibt einen kurzen Einblick in die Vielseitigkeit des Kongresses.
Freitag, 29. Oktober 2010
Forum 11: Die virtuelle Buchführung der Liebe
von Elisabeth R. Hager
Nach dem Besuch der Diskussionsrunde „Eine Liebe wie Buchhaltung: Romantische Beziehungen und Pragmatismus im Konsumzeitalter“ sieht es so aus, als tummelten sich in den virtuellen Sphären des Internets Lebens- und Liebesentwürfe, denen nicht mehr gemeinsam ist als ein je eigener E-Mailaccount. Unter der Leitung der Publizistin Mercedes Bunz diskutierten der Soziologe und Geschichtswissenschaftler Bastian Schmithal, die Journalistin und Internet-Datingexpertin Judith Alwin sowie die interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić über die Liebe im Zeitalter ihrer virtuellen Verfügbarkeit.
Der Familien- und Partnerschaftssoziologe Bastian Schmithal sprach über medial geschürte Vorstellungen von Liebesbeziehungen und ihre Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen. Dabei beschäftigte er sich allerdings ausschließlich mit der Institution Ehe und verlor kein Wort über die negativen Implikationen der Ehe als System stützendes Element in der patriachalen Gesellschaft. In der anschließenden Diskussion wurde ebenfalls kritisch angemerkt, dass nicht normative Liebesmodelle im Referat unter den Tisch gefallen waren.
Wer geglaubt hatte, der nächste Diskussionsbeitrag würde ein paar Schritte weiter in Richtung queer diversity gehen, wurde eines Besseren belehrt. Judith Alwin, Erfolgsautorin des Buches „Ins Netz gegangen“ zeichnete ein Bild der Liebesforen im Internet, das eher an die Fünfzigerjahre erinnerte denn an 2010. In der Diskussion hielten gleich mehrere Frauen aus dem Publikum entgegen, dass im Netz weit mehr existiere, als der von Alwin heraufbeschworene „Otto-Katalog für Partnersuchende“.
Nach der Pause bekam die Veranstaltung durch den Redebeitrag der Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić dann doch noch einen subversiven Turn. Ostojić stellte ihre Kunstaktion „Searching for a husband with EU passport“ (2000-2005) vor, an deren Anfang sie sich als kahl rasierte, heiratswillige Migrantin im Internet auf die Suche nach einem potentiellen Ehemann gemacht hatte. Zahlreiche Reaktionen heiratswilliger Männer veröffentlichte sie im Internet. Schließlich heiratete sie, zog zu ihrem Mann nach Deutschland und veröffentlichte die Ehe inklusive der Scheidungsparty als Kunstaktion.
In der Schlussrunde standen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf die Ehe dann noch einmal monolithisch gegenüber. Mercedes Bunz allerdings verstand es gekonnt, die im Plenum geäußerte Kritik in ihr Schlussplädoyer einzubauen. Judith Alwin verwies erneut auf steinzeitliche Partnerstereotype im Internet, Bastian Schmithal riet zu mehr Vernunft in Liebesdingen und die Forderung von Tanja Ostojić soll auch Schlusswort dieses Artikel sein: „Try to decolonise your minds!“
Fotostrecke - Impressionen vom Freitag
unser Missy Magazine-Pressebüro |
unser Interview mit Eva Illouz |
Ende des Tagesprogramms um 18.00 Uhr |
we are still at work... |
Forum 7: Fit für die Fortpflanzung? Körper für die Leistungsgesellschaft
Dr. Anne Waldschmidt, Professorin für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Sarah Diehl, Afrikawissenschaftlerin und Filmemacherin, und Lena Correll, Soziologin und Sinologin, diskutierten sehr unterschiedliche Aspekte der Fortpflanzungspolitik und -technologie. Demografische Entwicklung, ethische Argumentationen und ökonomische Zwänge spielen in der gesellschaftlichen Debatte ineinander.
von Claire Horst
Der Kulturanthropologe Sven Bergmann führte in das Thema Reproduktionstechnologie ein. Er wies auf die zentralen Veränderungen hin, die moderne Technologien für unser Verhältnis zum Körper bedeuten. So habe die Pille den weiblichen Körper kontrollierbarer gemacht. Visualisierende Methoden wie der Ultraschall hätten die Wahrnehmung von Mutterschaft verändert: Dass auf Bildern nur der Embryo zu sehen sei, reduziere die Mutter auf eine reine Nährumgebung.
Aufschlussreich sind auch die unterschiedlichen sprachlichen Herangehensweisen, die er zitierte. Von neutralen Bezeichnungen wie "Reproduktionsmedizin" über die euphemistische "Kinderwunschbehandlung" bis zum "Retortenbaby" oder "Cyborg" gehen die Semantisierungen, mit denen die Reproduktionsmedizin thematisiert wird.Bergmann nannte schon die Spannungsfelder des Themas: Die Möglichkeit, kinderlosen Paaren zum Wunschkind zu verhelfen, führe zu einer "Hoffnungsökonomie. Er wies darauf hin, dass sich schon in den siebziger Jahren Technologiekritik und Befreiungspotentiale gegenüber standen. Heute reiben sich Pro Life- und Pro Choice- Bewegungen aneinander.
Anne Waldschmidt, Gründungsmitglied des "Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik", sieht in der Diskussion um diese Technologie eine der zentralen Fragen unsere Gegenwart angesprochen, die Frage danach, was wir als schützenswert, was als bekämpfenswert ansehen. Dass die PND Leid verhindern kann, ist ein zentrales Argument für diese Technik. Warum wird das Leid, ein behindertes Kind zu gebären, so hoch angesetzt, fragte Waldschmidt. Sie vermutet dahinter ökonomische Interessen. Auch die These, PND verhelfe Frauen zu größerer Autonomie, überzeugt Waldschmidt nicht. Sie sieht in der PND die Gefahr, auf eine Normalisierungsgesellschaft zuzusteuern, in der Anderssein nicht mehr toleriert wird.
Wird Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft? Erhöht sich damit der Erwartungsdruck an Frauen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen? Diese Fragen stellte sie in den Raum.
Sarah Diehl, die zweite Referentin, beschäftigt sich mit den Zugangsbeschränkungen, die in Bezug auf Abtreibung in Deutschland bestehen. Deutschland ist eins von vier Ländern in der EU, in denen Abtreibung immer noch illegal ist. Diehl kritisierte die rechtliche Lage, nach der der Embryo als Rechtssubjekt konstruiert werde und damit der Frau als gleichwertig gegenübergestellt werde. Daneben bereiten ihr die Aktivitäten selbsternannter "Lebensschützer_innen" Sorgen. Im Internet, in Schulen und in Kampagnen betrieben diese Gruppen Gegenaufklärung. Im Verlauf ihrer Studien hat Diehl festgestellt, dass Frauen so verunsichert sind, dass sie sich kaum über ihre Erfahrungen mit Abtreibung austauschen.
Lena Correll, die ihre Dissertation zum Thema Fortpflanzung geschrieben hat, hakte bei der These ein, dass Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft werde. Familienpolitik werde wieder zur Bevölkerungspolitik, wenn die demografische Entwicklung angeführt werde.
Sie stellte weiterhin fest, dass Frauen immer noch die Hauptverantwortung für die Fortpflanzung übertragen werde. Männer würden nur am Rande einbezogen, etwa mit der Regelung der Vätermonate.
In der anschließenden Diskussion tauchte ein Verständigungsproblem auf, das den gesamten Kongress durchzog. Unterschiedliche Generationen von Feministinnen sprechen anders und über andere Themen. So bemängelte eine Teilnehmerin, die Vielfalt an Themen wie Queerness, Migration und schwule Vaterschaft verdränge die klassische Frauenpolitik.
Andere fühlten sich von der Diskussion in ihrem Wunsch bestärkt, den wachsenden Normierungsdruck zu kritisieren. Eine Beteiligte beklagte das Verstummen linker Kritik an menschenfeindlicher Diskussionsführung. Es sei einfach, Sarrazins Äußerungen zur Genetik zu kritisieren. Viel notwendiger sei aber eine Kritik an aktuellen Entwicklungen in der Genforschung oder an normierenden Castingshows.
Forum 10: Verhandlungssache Familie: Wie läuft die Arbeitsteilung im Patchwork?
Gesprächsrunde mit Lisa Green (Psychologin), Robert Habeck (Autor), Karin Jurczyk (Deutsches Jugendinstitut e.V.), Ahmet Toprak (Fachhochschule Dortmund), moderiert von Sonja Eismann (Missy Magazine) |
Kreativität und Prekarität: Interview mit Julia Seeliger
Seeliger im Workshop |
(Svenja Schröder)