Ein Rundumschlag über die zentralen Debatten aktueller geschlechterpolitischer Gesellschaftskritik, und das in zweieinhalb Tagen – ist das überhaupt möglich? Dieses Wochenende hat gezeigt, dass es geht, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. "Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie", der Untertitel deutet auf die Vielfalt der behandelten Themen hin. Um die Verschränkung von Genderfragen und Ökonomie in einer sich verändernden Welt sollte es gehen, und ein Blick in das Programm verdeutlichte die Multidimensionalität des gigantischen Themenkomplexes.
Der Kongress hatte die besten Voraussetzungen: Veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung, auf den Podien Expert_innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, NGOs, und, der wichtigste Aspekt, Teilnehmer_innen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Wie oft gibt es das, eine Veranstaltung, auf der Beamt_innen und Student_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen über Genderfragen ins Gespräch kommen?
Genau in dieser Vielfalt lag auch die Schwierigkeit. Verständigung wird erschwert, wenn Begriffe gegensätzlich interpretiert werden. Essentialistische Vorstellungen von Männern und Frauen standen neben einer gänzlichen Ablehnung der binären Trennung zwischen den Geschlechtern; die Forderung nach mehr Frauen in Chefetagen neben der nach dem Schulterschluss mit Gewerkschaften gegen Prekarisierung – all diese Positionen traten aufeinander. Dementsprechend durchzogen manchmal mehr, manchmal weniger produktive Kontroversen den Kongress. Während einige immer wieder die Konzentration auf Frauenrechte forderten, verlangten andere eine stärkere Auseinandersetzung mit intersektionellen Fragestellungen.
Angesichts dieses viel versprechenden Spannungsfelds der unterschiedlichen Diskurse verwunderte es, dass die zentralen Key Lectures vornehmlich den Blick auf klassische Fragestellungen der Frauenbewegungen richteten. Susan Pinker gab am ersten Tag die Perspektive vor. Um die biologisch begründeten Unterschiede zwischen Mann und Frau ging es da, mit denen sie gegen Gleichstellungsbestrebungen argumentierte. Eine Welt jenseits des Dualismus von Frau und Mann? Fehlanzeige. Gesellschaftliche Normierungen als Faktor für Unterschiede blendete Pinker aus.
Ähnlich wie diese erste Key Lecture löste auch das Abschlussstatement von Miriam Meckel kontroverse Diskussionen aus. In ihrem Kampf für mehr Frauen in Führungspositionen konnten einige Teilnehmer_innen kein befreiendes Potential mehr sehen – relevant sei diese Diskussion nur für einen verschwindend kleinen Teil der (weißen, deutschen, gebildeten) Frauen.
So hatte die klischeehafte Zeichnung von Genderrollen in den zentralen Reden überlagernde Effekte. Die große thematische Offenheit der Foren, die oft sehr fundierten Thesen und erhellenden Gespräche wurden darin nicht widergespiegelt. All die Diskussionen über Marginalisierung von Nichtweißen, über die Instrumentalisierung von Frauenrechten zur Stigmatisierung Nichtdeutscher und über ein Leben jenseits der Zweigeschlechtlichkeit - nur bunte Farbtupfer am Rande der wieder in den Mittelpunkt gerückten "Geschlechterkämpfe"?
Claudia von Braunmühl machte in ihrer Zusammenfassung des Kongresses deutlich, dass Diskriminierung mehrere, komplex verschränkte Ebenen umfasst. Sie drückte ihre Überzeugung aus, dass Geschlechterpolitik immer in eine umfassende Gesellschaftskritik eingebunden werden muss. In ihrer Rede war die Vielseitigkeit der Diskussionen und Foren noch einmal zu spüren.
Mit dem Ende des Kongresses stellt sich die Gretchenfrage: Wozu das Ganze? Zu begrüßen ist, wenn an so prominenter Stelle den unterschiedlichen Blickwinkeln gegen Unterdrückungsmechanismen Raum geboten wird. Bei der Kritik darf es aber nicht bleiben. Missstände aussprechen zu können, ist nur ein Etappenziel. Prekäre Arbeitsbedingungen, rassistische Strukturen, sexistische Gesetzgebungen müssen auch verändert werden.