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Dienstag, 9. November 2010

Videorückblick


Von der Registrierung am Donnerstag bis das die letzte Teilnehmer_in am Samstag das dbb Forum verließ, hat Julia Reinecke, mit Unterstützung von Isabelle Küster, den Kongress mit ihrer Kamera begleitet. Hier ist ihr Zusammenschnitt von Eindrücken und Meinungen.

Dienstag, 2. November 2010

Reflexionen einer Grande Dame – Interview mit Claudia von Braunmühl

Die als unbequeme Expertin in Sachen Entwicklungspolitik bekannte Professorin Claudia von Braunmühl, hatte die Aufgabe den Kongress rückblickend zu reflektieren. Das Missy Magazine sprach mit der bekennenden Feministin nach der Konferenz.
von Margarita Tsomou
Missy Magazine: Als eine Frau mit einem über vier Jahrzehnte währenden gesellschaftspolitischen Engagement blicken Sie auf einen reichen Erfahrungsschatz mit Konferenzen über Genderfragen zurück. Was sind für Sie die Besonderheiten der Konferenz „Das flexible Geschlecht“?
Claudia von Braunmühl: Die Breite der Themen sowie die Vielfalt Teilnehmer_innen, die in diesen Themen hochkompetent sind - entweder weil sie sich wissenschaftlich damit befassen oder weil das ihren Herzschlag ausmacht. Des weiteren fiel mir auf, dass der Diskussionsstil unter Frauen duldsamer geworden ist. Ich meine damit nicht nur freundliche Duldsamkeit. Der Ton stand in fast krassem Gegensatz zu der Schärfe der Adressierung von Anliegen. Das ist ein Schritt in die berühmte Streitkultur, die die Klarheit der Kritik mit Freundlichkeit und Respekt verbindet. 
Claudia von Braunmühl 

Missy Magazine: In ihrer rückblickenden Zusammenfassung des Kongresses haben Sie von Widersprüchen gesprochen. Auf der Konferenz haben die Kontroversen nicht gefehlt. Zum Beispiel das Thema „Frauen an die Spitze“ wurde unterschiedlich diskutiert.
Claudia von Braunmühl: Hinsichtlich der durchaus berechtigten Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen gab es Stimmen, die sagten: ihr wollt Frauen an die Spitze der Gesellschaft, aber habt nur Vermutungen darüber, was das bewirkt – möglicherweise bewirkt das nur eure eigene Karriere und weg seid ihr aus dem sozialpolitischen Auseinandersetzungsfeld. Ich persönlich sorge mich auch ein bisschen über die Entkoppelung des Gleichberechtigungsimpulses von umfassenderen und thematisch noch mal anders gelagerten gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen – dieses Phänomen ist in Deutschland besonders stark. Da müsste man verstärkt nach den ökonomischen und politischen Parametern von Frauen in Führungspositionen sprechen. Auf der Hand liegt es etwa bei der Frage, ob Frauen unbedingt in die Rüstungsindustrie müssen. Ist in irgendeiner Weise zu erwarten, dass sich mit Frauen in den Chefetagen etwas am Zweck dieser Branche ändert? In dem Fall wünschte ich mir, dass Frauen etwas in Richtung Konversion bewirken - also im Sinne der guten alten Forderung „Von Schwerter zu Pflugscharen“ (Redewendung der Friedensbewegung) – sowas könnte ich mir vorstellen. Wenn Frauen allerdings darin nur zur Humanisierung eines Managementdiskurses beitragen, mit dem die Rüstungsindustrie intakt gehalten wird, dann frage ich mich, ob das richtig ist.
Missy Magazine: Zentrale Begriffe der Konferenz sind „Glück“ und „Krise“. Wie sind diese Begriffe Ihrer Meinung nach gefüllt worden?
Claudia von Braunmühl: Ein bisschen zu glatt. Auf der einen Seite gab es diese brillante Einbettung von Glück in eine kapitalismuskritische Folie von Eva Illouz. Auf der anderen Seite wurde das Thema Familie weitgehend unter Bereinigung der Widersprüche diskutiert, die Emanzipationsaufbrüche notwendigerweise mit sich bringen. Also zum Beispiel das Risiko, das eine Frau eingeht, wenn sie sich bestimmten Äußerungsformen von Kavaliersverhalten entzieht oder wenn sie etwas fordert. Zum Beispiel wenn frau ein romantisches Beziehungswochenende „gefährdet“, weil sie am Freitagabend anmerkt, dass der Partner auch mal abwaschen könnte. Das Beispiel mag heute nicht mehr so relevant erscheinen, es sagt aber etwas über das Risikopotential aus, das jede Emanzipationsforderung im privaten wie im gesellschaftlichen Raum enthält. Ich will damit sagen, dass wir doch nicht Strahlefrauen sind und in den neuen Weg blicken, wie der vermeintlich neue Mensch auf den Bildern des Sozialistischen Realismus. Wir haben Widersprüche in uns. Über diese Widersprüche im Aufbruch hätte man mehr sprechen können.
Missy Magazine: Auch die Widersprüche im Glücksempfinden?
Claudia von Braunmühl: Mir ist immer deutlich gewesen wie machtvoll Deutungshohheiten hinsichtlich des Glücksempfindens sind. Ich finde es hochgradig verwirrend, wenn eine ganze Gesellschaft uns sagt „Das ist aber jetzt Glück“ und „so wirst du glücklich“. Die Tiefe und Komplexität dieser intimen Empfindung finde ich nicht so eindeutig. Die Frage ist, wie man in diesem Zusammenhang Glück als gesellschaftliche Kategorie fassen kann.
Missy Magazine: Und was ist mit dem Begriff „Krise“?
Claudia von Braunmühl: In den Diskussionen über Frauen in Führungspositionen wurde angemerkt, dass Frauen insbesondere in Krisenzeiten an die Spitze gehoben werden. Da spielen essentialistische Annahmen eine Rolle. Es wird zum Beispiel angenommen, dass es anders gelaufen wäre, wenn die „Lehman Brothers“ „Lehman Sisters“ gewesen wären. In diesem Zusammenhang fand ich die Anmahnung wichtig, dass die Forderung von Frauen an die Macht keinen Wertewandel markiert, sondern eher ein – vielleicht sogar vorübergehendes – Phänomen der allgemeinen Ratlosigkeit in Krisenzeiten. 
M.Tsomou im Interview mit Professorin von Braunmühl

Missy Magazine: Sie beschäftgen sich schon seit Ende der 60er Jahre mit der Frauenfrage. Was hat sich Ihrer Einschätzung nach im Genderdiskurs bewegt?
Claudia von Braunmühl: Es gibt bestimmte Bilder von Frau über die heute mittlerweile gelacht wird. Sogar die Werbung karikiert sie. Das macht es leichter neue Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Viele der Debatten, die hier über Sexualität geführt wurden – was ich Fragen der Körperpolitiken nenne – wären vor Jahren gar nicht möglich gewesen. Auch Ansprüche im Rahmen der Gleichstellungspolitik können heute artikuliert werden, die früher nicht so möglich gewesen wären. Und an manchen Punkten sind auch bestimmte Dinge auf Seiten der Männer nicht mehr so sagbar.
Missy Magazine: Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Claudia von Braunmühl: Das Phänomen, das Frau Meckel in ihrem Vortrag angesprochen hat, dass nämlich in Ansprachen oft ihr Titel ausgelassen wird, ist mir sehr gut vertraut. Nun habe ich einen komplizierten Namen – die korrekte Ansprache wäre Frau Professor Claudia von Braunmühl. In protokollarischen Situationen, also zum Beispiel im Auswärtigen Amt, wo die Form der Vorstellung Status und Rederecht vergibt, ist die Art der Ansprache sehr wichtig. In solchen Situationen wird zum Beispiel Dr. Müller und Professor Meier vorgestellt und ich als Frau Äääh?-Braunmühl. Kann ich das zulassen, darf ich das zulassen? Wird mein Rederecht beschränkt? Was ist mit meiner Kränkung, die Kränkung der Sache, die ich vertrete? Versaue ich die Atmosphäre, wie beim Beispiel mit dem Freitagabend, das ich erwähnte, wenn ich mich beschwere? Jedes Mal hab ich ein Programm am laufen, was Männer überhaupt nicht haben. Denn ich bin diejenige, die die Assymetrie der Diskriminierung wahrnimmt. Die Spielregeln laufen zu meinen Ungunsten und das nimmt ein Teil meiner Energie weg.
Jetzt sage ich aber auch noch was Positives. Als ich noch relativ jung war, kam ich in eine Position, wo es fürchterlichen Terror gab, dass ich als Frau dahin befördert wurde. Nämlich die der Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes in Jamaika. Aus meinem Büro hörte ich meine Sekretärin am Telefon erläutern „The new director is a she“. Aber mit diesem kleinen „it ´s a she“ war das Thema in Jamaika erledigt. Und wir hier in Westeuropa behaupten immer, wir wären so aufgeklärt und alle andere Länder wären hinten dran. Das hat Gründe, die ich hier nicht weiter ansprechen werde. Aber es ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich mein Lebtag nicht so viel Kraft, Energie und Lebenslust in meinem Beruf hatte, wie zu dieser Zeit in Jamaika. Weil ich nicht immer dieses doppelte Programm am Laufen hatte, von dem ich vorhin sprach. Was das an Kräften freigibt! Wenn die Herren hierzulande das auch mal hinkriegen würden...

Missy Magazine: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Montag, 1. November 2010

Der Rückblick

von Claire Horst

Ein Rundumschlag über die zentralen Debatten aktueller geschlechterpolitischer Gesellschaftskritik, und das in zweieinhalb Tagen – ist das überhaupt möglich? Dieses Wochenende hat gezeigt, dass es geht, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. "Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie", der Untertitel deutet auf die Vielfalt der behandelten Themen hin. Um die Verschränkung von Genderfragen und Ökonomie in einer sich verändernden Welt sollte es gehen, und ein Blick in das Programm verdeutlichte die Multidimensionalität des gigantischen Themenkomplexes.


Der Kongress hatte die besten Voraussetzungen: Veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung, auf den Podien Expert_innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, NGOs, und, der wichtigste Aspekt, Teilnehmer_innen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Wie oft gibt es das, eine Veranstaltung, auf der Beamt_innen und Student_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen über Genderfragen ins Gespräch kommen?

Genau in dieser Vielfalt lag auch die Schwierigkeit. Verständigung wird erschwert, wenn Begriffe gegensätzlich interpretiert werden. Essentialistische Vorstellungen von Männern und Frauen standen neben einer gänzlichen Ablehnung der binären Trennung zwischen den Geschlechtern; die Forderung nach mehr Frauen in Chefetagen neben der nach dem Schulterschluss mit Gewerkschaften gegen Prekarisierung – all diese Positionen traten aufeinander. Dementsprechend durchzogen manchmal mehr, manchmal weniger produktive Kontroversen den Kongress. Während einige immer wieder die Konzentration auf Frauenrechte forderten, verlangten andere eine stärkere Auseinandersetzung mit intersektionellen Fragestellungen.


Angesichts dieses viel versprechenden Spannungsfelds der unterschiedlichen Diskurse verwunderte es, dass die zentralen Key Lectures vornehmlich den Blick auf klassische Fragestellungen der Frauenbewegungen richteten. Susan Pinker gab am ersten Tag die Perspektive vor. Um die biologisch begründeten Unterschiede zwischen Mann und Frau ging es da, mit denen sie gegen Gleichstellungsbestrebungen argumentierte. Eine Welt jenseits des Dualismus von Frau und Mann? Fehlanzeige. Gesellschaftliche Normierungen als Faktor für Unterschiede blendete Pinker aus.


Ähnlich wie diese erste Key Lecture löste auch das Abschlussstatement von Miriam Meckel kontroverse Diskussionen aus. In ihrem Kampf für mehr Frauen in Führungspositionen konnten einige Teilnehmer_innen kein befreiendes Potential mehr sehen – relevant sei diese Diskussion nur für einen verschwindend kleinen Teil der (weißen, deutschen, gebildeten) Frauen.


So hatte die klischeehafte Zeichnung von Genderrollen in den zentralen Reden überlagernde Effekte. Die große thematische Offenheit der Foren, die oft sehr fundierten Thesen und erhellenden Gespräche wurden darin nicht widergespiegelt. All die Diskussionen über Marginalisierung von Nichtweißen, über die Instrumentalisierung von Frauenrechten zur Stigmatisierung Nichtdeutscher und über ein Leben jenseits der Zweigeschlechtlichkeit - nur bunte Farbtupfer am Rande der wieder in den Mittelpunkt gerückten "Geschlechterkämpfe"?


Claudia von Braunmühl machte in ihrer Zusammenfassung des Kongresses deutlich, dass Diskriminierung mehrere, komplex verschränkte Ebenen umfasst. Sie drückte ihre Überzeugung aus, dass Geschlechterpolitik immer in eine umfassende Gesellschaftskritik eingebunden werden muss. In ihrer Rede war die Vielseitigkeit der Diskussionen und Foren noch einmal zu spüren.

Mit dem Ende des Kongresses stellt sich die Gretchenfrage: Wozu das Ganze? Zu begrüßen ist, wenn an so prominenter Stelle den unterschiedlichen Blickwinkeln gegen Unterdrückungsmechanismen Raum geboten wird. Bei der Kritik darf es aber nicht bleiben. Missstände aussprechen zu können, ist nur ein Etappenziel. Prekäre Arbeitsbedingungen, rassistische Strukturen, sexistische Gesetzgebungen müssen auch verändert werden.